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Die Drachenperle (German Edition)

Die Drachenperle (German Edition)

Titel: Die Drachenperle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Lüer
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durch verlassene Siedlung führte. Sein Atem ging pfeifend und die kleinen Füße litten unter dem Schnee und Eis. Mellon versuchte immer wieder zu fliegen, doch die kleinen Drachenflügelchen waren einfach nicht dafür geschaffen. Mellon war nicht das einzige Wesen, das durch die vom Frost zerstörte Siedlung lief. Issyrle kreuzte seinen Weg und erkannte sofort, was Mellon, Taikis kleiner treuer Freund, vorhatte. Sie nahm den Beutel, warf ihn über ihre Schulter und nahm dann Mellon in die Arme und eilte mit ihm zusammen immer tiefer in den Wald.
     
    Taiki fiel durch die Baumkrone und noch bevor sein Herz vor lauter Angst aufhören konnte zu schlagen, landete er unerwartet weich in einem riesigen Vogelnest. Asche wirbelte auf. Taiki lag mit ausgestreckten Armen und Beinen mucksmäuschenstill auf dem Rücken und öffnete ganz, ganz langsam seine Augen. Als er wieder Vertrauen in sein Schicksal gesammelt hatte, setzte er sich auf und dankte allen Göttern aller Welten für diese Rettung. Hier oben endete also diese Welt, doch wo begann seine echte Welt?
    Die Prophezeiungen fielen ihm wieder ein. Alle hatten sich bisher als sinnvoll erwiesen. Zwei waren noch nicht wahrhaftig geworden: „Wenn des Feuervogels Flügelschlag erbebt, das Volk zwischen Tod und Leben schwebt“ und „Hoch im Erlöserbaum die Asche träumt ihren Feuertraum“.
    Taiki konzentrierte sich. Träumende Asche, Feuer, Feuervogel… Wo war dieser Vogel? Wenn dies sein Nest war, dann musste er riesig sein. Feuer, Asche, Feuer… ja! Die Feuerträne des Salamanders!!! Taiki griff in seine Jackentasche, wühlte aufgeregt in ihr, bis er schließlich die samenkorngroße Feuerträne zwischen den steifen Fingerspitzen hielt. In ihr loderten immer noch kleine Flämmchen. Taiki fror entsetzlich und er zitterte so, dass die Träne ihm aus den Händen glitt und in die Asche fiel.
    „Oh, nein! Wie soll ich dich in der dicken Ascheschicht wiederfinden?“
    Bestürzt wühlte er mit beiden Händen in der Asche und wirbelte sie auf. Nach einer Weile fühlte er, dass die Asche wärmer wurde. Und zwar rasch! Wie tat das gut! Wärme, herrlich - kostbare Wärme! Die Asche fing dann schnell an zu glühen, sodass Taiki unwillkürlich an den Rand des Nestes kroch, um sich außer Gefahr zu bringen. Und dann passierte es: Die Asche träumte machtvoll ihren Feuertraum, was nicht weniger bedeutete, als dass aus der Asche in Sekundenschnelle ein flammender Phönix entstand. Ein prächtiges, majestätisches Geschöpf mit schillerndem Gefieder erhob sich aus seiner Asche und ward aufs Neue geboren.
    Taiki sah mit Ehrfurcht zu ihm auf. Ein Wunder war direkt vor seinen Augen geschehen. Wahrlich ein Wunder.
    Der Phönix breitete seine Flügel aus. Das Nest und die Baumkrone erbebten unter dem kraftvollen Flügelschlag. Er war das schönste Geschöpf, das Taiki je gesehen hatte. Taiki hatte keine Angst vor ihm, obwohl sein Schnabel groß und scharf war und auch die Krallen seiner Füße ihn mit Leichtigkeit hätten zerfetzen können. Sein flammendes Gefieder verströmte eine große Wärme. Instinktiv wusste Taiki, dass er sich dem Feuervogel getrost nähern konnte, er würde sich nicht an ihm verbrennen. Diese Flammen waren nicht zerstörender Natur, sondern sie brachten neues Lebensfeuer.
    Der Phönix neigte sich würdevoll zu dem Jungen nieder, und Taiki kletterte an ihm hoch, bis er zwischen den Flügeln im Nacken saß. Er klammerte sich an die rotgoldenen Federn. Dann hob der Vogel ab und flog mit ihm über den Frostwald. Er ging immer tiefer, bis er knapp über allen Baumkronen im Gleitflug kreiste. Seine große Wärme schmolz all den Schnee und das Eis. Runde um Runde flogen sie und Taiki jubelte laut vor Freude und Erleichterung. Der Phönix warf einige seiner glimmenden Federn ab und sie wurden vom Wind an den Rand des Waldes getragen, sodass bald das ganze Gebiet vom Frost erlöst war. Und dann flogen sie immer höher und höher und es wurde dunkel und still um Taiki.
     
    Issyrle kam zu spät. Sie setzte Mellon auf den Boden und ging zu Madox und ihrer Mutter, die immer noch unter dem Erlöserbaum standen und sich andächtig an den Händen hielten. Mit ernstem Gesicht hielt sie ihnen den Beutel entgegen.
    „Er hat seine Perle der Weisheit nicht mitgenommen. Was wird nun aus ihm werden?“
    Entmutigt ließ sie den Beutel zu Boden fallen. Mellon rollte sich auf ihm zusammen, um zu schlafen. Er würde die Perle mit seinem Leben bewachen, schwor er sich im Stillen. Und dann

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