Die Drachenperle (German Edition)
spüren, wie die Klänge, die Taiki hervorbrachte, ihm unter die Haut ins Blut gingen und sich so in jeder Zelle seines Körpers ausbreiteten. Und dann wurde es in ihm hell und leicht.
Der jetzige Clanführer Hantok hatte nur einen Sohn: Martok. Dieser war verschlagen, waghalsig und der geborene Anführer. Er scharte die besten jungen Krieger um sich, die auf Befehl des Clanführers eine besonders harte und umfassende Ausbildung durch den Waffenmeister erhielten. Sie waren die kommende Kriegerelite, die Zukunft und Sicherheit des Reitervolkes, der ganze Stolz des Hantok und dessen Weib Ladici.
Hantok hatte das Nomadendasein des Reitervolkes beendet und war der erste Clanführer, der eine befestigte Siedlung im eroberten Landstrich gründete, beständig ausbaute und instand hielt. Die Raubzüge unter seiner Herrschaft waren deutlich seltener geworden und das geschundene Land atmete auf. Seine Vorväter hatten genug materielle Güter gestohlen und angesammelt. Er wollte etwas anderes. Hantok wollte die Anerkennung der anderen Machthaber von Gorotanien als Gleichgestellter, denn er wollte nicht länger als Barbar aus dem Norden gelten. Darum steckte er viel Energie und Zeit in den Ausbau von Rossheim und nahm auch Kontakt zu den Flussleuten auf. Er wollte handeln, tauschen und Wissen erwerben.
Sein Sohn legte ihm dies insgeheim als Schwäche aus, verbarg es aber wohlweislich. Denn er begehrte se lbst die Herrschaft. Er wollte es seinen glorreichen Vorfahren gleichtun und wie ein echter Mann und Krieger herrschen. Und vor allem: der Erste unter den Oberhäuptern des ganzen Landes sein, der absolute Krieger und Herrscher! Er war aber noch nicht stark genug und hatte noch zu wenige Krieger um sich geschart, um einen Machtwechsel herbeizuführen. Vor allem: wenn sein Vater nicht bei einem Beutezug oder einem feindlichen Angriff ums Leben kam, sondern wie ein Schwächling im Bett an Altersschwäche starb, dann würde es noch eine halbe Ewigkeit dauern, bis Martok aus der Horde wieder eine überaus gefürchtete Kriegerhorde machen konnte. Die se alten Männer wurden fett und träge, hatten sich an das bequeme Leben hier in Rossheim gewöhnt! Welche Schande.
Arik wusste darum, denn er kannte Martoks Gedankengänge. Denn er hatte auch ihm Gelehrsamkeit nahe bringen sollen, hatte aber vergeblich versucht, dem Jungen etwas kultivierten Verstand einzubläuen. Seine Egozentrik und Gefühlskälte waren maßlos. Der einzige Mensch, der ihn beeinflussen konnte, war seine Mutter Ladici. Und die legte keinen Wert auf Bildung oder neue Ideen. Die Seelenverwandtschaft der beiden war eine unheilige Allianz. Arik seufzte tief. Er nahm sich vor, morgen den Waffenmeister anzusprechen. Es ging nicht an, dass seine Jungkrieger ihm die Arbeiter blutig schlugen. Sie waren ohnehin zu wenige, um all die Arbeit zu bewältigen. Und was ganz besonders nicht geduldet werden sollte war, dass Taiki, dieses Licht seiner dunklen Tage, von Martok, diesem barbarischem Scheusal, aus purer Lust am Quälen halb totgeschlagen wurde. Er würde dem einen Riegel vorschieben, wie auch immer.
Es hatte spät im Frühjahr noch einmal überraschend Frost gegeben. Taiki saß am Feldrain und hielt gedankenverloren Saatgut zwischen seinen geschlossenen Händen. Die Jungpflanzen waren alle erfroren. Es würde erst Wochen später als üblich das erste frische Gemüse geben, und die Vorräte an Getreide und getrocknetem Grünzeug waren fast aufgebraucht. Was sollte er essen? Er brachte es einfach nicht fertig, Fleisch zu essen wie die Anderen. Taiki dachte hungrig an die guten Blatt- und Knollengemüse, auch an den Getreidenussbrei, den Nona so gut zubereiten konnte. Und immer wieder an frisches Grün, an wohlbestellte Felder. Er stellte sich vor, wie Keimlinge aus der Erde sprossen, ihre vorbestimmte Gestalt annahmen und in der milden Sonne und vom weichen Frühlingsregen benetzt wuchsen, und er verlor sich in Tagträumen.
Auf einmal kitzelte es in seinen Handflächen. Verwundert öffnete er sie und konnte nicht glauben, was er s ah: gekeimtes Saatgut, mit jungen B lättern gar! Was eben noch als Saat trocken und hart gewesen war, war nun frisches, weiches Grün. Wäre Taiki nicht vor Schreck erstarrt, so hätte er die Gemüsesprossen fallen lassen. Was geschah hier?
„Du, Taiki, sitz da nicht rum, du sollst doch die neue Saat ausbringen!“
Arik näherte sich verärgert. Doch dann verschlug es ihm fast die Sprache. „Bei allen Göttern meines Volkes, wo hast
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