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Die Drachenperle (German Edition)

Die Drachenperle (German Edition)

Titel: Die Drachenperle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Lüer
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Stufen führten hinauf. 49 zierliche Säulen stützen das Tempeldach. Makoto betrat ihn mit Ehrfurcht. Er achtete auf seine Schritte, denn überall huschten kleine Salamander umher.
    Hier und jetzt würde er die Wahrheit über sich selbst erfahren und das Land des Taiki vom Ewigen Frost erlösen! „Im Tempel der Spiegel, im Spiegel der Schöpfer, im Schöpfer die Wahrheit“ - Madox hatte ihn das so oft wiederholen lassen, bis er es sicher auswendig wusste.
    In der Mitte befand sich eine Steinsäule aus feingeädertem Marmor mit einer großen Wasserschale darauf , weiter befand sich nichts im Tempel. Endlich trinken können! Makoto stillte seinen Durst. Ruhe kam über ihn, große innere Ruhe. Und so erschrak er auch nicht, als das Wasser langsam überzuquellen begann, sich dünn über den Boden kreisförmig verteilte und zwischen den zahlreichen Säulen emporstieg, wie ein umgekehrter Wasserfall. Die kristallklare Flüssigkeit bildete bald schon eine geschlossene Fläche ringsum, floss dann sanft aufwärts an der Innenseite des Tempeldaches zum höchsten Punkt in der Mitte, sammelte sich und fiel dann wieder zurück in die Schale auf der Steinsäule, die wiederum überquoll und der Kreislauf begann erneut. Hier war das Unmögliche möglich.
    Makoto war nun ganz mit sich allein. Er blickte sich fasziniert um und konnte für eine Weile sein Kopfweh vergessen. Ihm war, als würde er leise Stimmen vernehmen, es lag ein Raunen und Flüstern in der Luft.
    „Ich wünsche nun die Wahrheit über mich selbst zu erfahren!“
    Zwischen zwei Säulen veränderte sich die Wasserfläche leicht, sie wurde zu einer Art Spiegel. Makoto trat näher und sah verblüfft, wie ein Schriftzug aus dem Nichts entstand. Buchstabe für Buchstabe malte sich selbst über sein Spiegelbild: T.A.I.K.I. Unter der Schrift nahm nun ein neues Bild Gestalt an, es zeigte den Jungen nicht mehr wie er jetzt war, sondern in festlicher Kleidung, stolz und herrschaftlich, geradezu königlich erscheinend, vor Gesundheit strotzend und überaus wohlgenährt.
    „Taiki. ICH bin Taiki? Ein Herrscher? Der Taiki ? D er Schöpfer , von dem Madox sprach? Ja, natürlich. Das Land der Taikianer ist meine Welt, meine Zuflucht, mein eigenes Reich. Alle und alles hier sind meiner Vorstellungskraft entsprungen. Mein Land und meine Geschöpfe tragen meinen wahren Namen, sind nach mir benannt. Nicht Makoto, sondern Taiki. Nun verstehe ich, was Mutter meinte. Diese Welt ist ein Abbild meiner Wünsche, meiner Bedürfnisse. Und es muss noch mehr als das sein, sonst ergibt es keinen Sinn. Der Frostwald! Sein Zustand muss mit mir selbst zu tun haben. Aber das verstehe ich nicht. Was mag er symbolisieren? Der tödliche Frost kann doch weder Wunsch noch Bedürfnis sein . “
    Makoto, nein, Taiki ging im Kreis um die Wasserschale herum und dachte nach: Was unterscheidet die se Wahrheit von der wahren Wahrheit? Nach der siebten Runde blieb er stehen und schickte einen gedanklichen Impuls aus. E r wol lte einen weiteren Hinweis vom Tempelw asser erhalten. Prompt erschien genau ihm gegenüber eine weitere Spiegelfläche. Wieder erschien ein Schriftzug aus dem Nichts: Auch T.A.I.K.I. Doch hier erschien nun ein gänzlich anderes Bild, kein Spiegel bild, sondern ein bewegtes Bild. Derselbe Junge, das ja, aber mager, erschöpft, ärmlich gekleidet, barfuß. Er schuftet mit anderen Leuten gebeugt auf einem Feld. Sie schleppen Steine, schichten sie zu einer Mauer auf. Ein rothaariger Reiter kommt daher und droht mit seiner Peitsche, sie sollen gefälligst schneller arbeiten. Er ist voller Verachtung für seine – Sklaven!
    Taiki stößt keuchend seinen Atem aus. Er ist ein Sklave? Sein wahres Ich in der wahren Welt ist ein erbärmlicher Sklave? Wie ist das möglich? Seine Mutter sprach von Macht , von einem Kind , das nur selten geboren wird und ein großes Schicksal hat. Wie kann ein solches Kind als Sklave dahinvegetieren? Sollte das etwa sein „großes Schicksal“ sein? Was war daran großartig? Er war entsetzt und wandte sich brüskiert von dem Bild ab. Taiki stützte sich haltsuchend auf dem Rand der Wasserschale mit beiden Händen ab. Er umklammerte sie so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. War es nicht besser zu sterben, als ein Leben als Sklave zu führen?
    Als er diese bitteren Gedanken hegte, nahm der Radius des Frostwaldes um viele Meter zu. Nicht ahnend, was er mit seinen Gedanken anrichtete, rang Taiki mit sich selbst. Seine Mutter hatte ihn geheißen, um sein Leben zu

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