Die Drachenperle (German Edition)
tunkte sie in die Brühe. Er hatte erstaunlichen Hunger.
„Wirt Rufus, bring mir noch Rührei mit Kräutern und was vom Apfelkuchen, drei Stück!“
Er lehnte sich in die Bank zurück und schaute seinem Diener tief in die Augen. Sah dort Loyalität, Sorge und ehrliche Zuneigung. Umso schwerer fiel es ihm, jetzt zu sagen: „Geh.“
Es war Abend geworden, Dunkelheit breitete sich über der Stadt und den Bergen aus. Lydia stieg langsam ins erste Stockwerk hoch, ihre Beine waren schwer. Sie hatte Jolim angeschrien, als er mit Taikis Bündel aus dem Haus gehen wollte, hatte sogar nach ihm geschlagen. Der Junge durfte nicht gehen und sie der Einsamkeit überlassen. Beutereiter lauerten überall. Sie würden ihn ihr wegnehmen, für immer. Sie hörte diese Barbaren kichern. Einer ging neben ihr die Treppe hoch. Er flüsterte ihr zu: Mach Feuer. Damit es wieder hell in dir wird. Taiki kommt nicht nach Hause, wenn es dunkel ist. Er fürchtet sich bei Nacht, genau wie Aurelia… Er hat Recht, dachte Lydia. Hier ist es wirklich dunkel. Die Tür. Ich muss die Tür verriegeln. Mutter darf das Licht nicht sehen. Sie hat meine Kinder fortgeschickt. Lydia schloss zweimal um, ging dann wieder in ihre Werkstatt runter. Der Beutereiter saß gelangweilt auf ihrem Webrahmen. Nun mach schon. Es ist immer noch dunkel hier. Lydia nickte ihm zu. Fing dann an, ihre Wandteppiche sorgsam in Streifen zu schneiden. Schichtete sie in der Mitte des Raumes auf. Interessiert sah ihr der Rote zu. Er saß jetzt auf ihrer Schulter. Mit seinem schmutzigen, blutverkrusteten Finger deutete er auf das Regal, wo die Öllampe stand. Lydia verstand und lächelte ihm zu. Sie nahm die brennende Lampe und warf sie auf den Stoffhaufen, goss noch Öl dazu. Ah, dieses herrliche Licht! Aurelia würde es sehen und nach Hause kommen. Nie mehr allein sein. Lydia machte noch die Fenster auf, damit ihre Kinder das Licht besser sehen würden. Kommen sie jetzt nach Hause? Roter Reiter, du hast es mir versprochen! Aber ja, sieh doch nur wie die Flammen schon vor Freude tanzen, nimm Aurelias und Taikis Hand, sie sind doch da! Komm näher ran, lass uns mittanzen!
Missmutig stapfte Taiki neben dem bunten Wagen der Gaukler einher. Sie hatten die Stadt am späten Nachmittag verlassen. Kiri hatte es abgelehnt, mit ihm allein durchzubrennen. Sie war der Meinung, zu zweit würden sie nicht auf den Straßen überleben, unerfahren wie er war. Zu viel Gelichter war in diesen Zeiten unterwegs. Und wovon sollten sie leben, hatte sie ihn gefragt. Ihr Tanz und seine schöne Stimme allein wären nicht genug. Er müsse erst lernen, ein Gaukler zu sein. Balladen auswendig lernen und viele Trinklieder. Und er müsse lernen, die Menschen für sich einzunehmen, sie mit Worten betören können und vor allem, ihnen das Geld locker zu machen. Für einen echten Gaukler wäre er viel zu ernst.
Die kleine Gruppe war in den letzten Stunden recht weit gekommen auf dem breiten Weg, der in Serpentinen ins Tal führte. Taiki konnte in der späten Dämmerung gerade noch den Fluss Donn´aid unten im Tal erkennen. Ihr Ziel hieß Gerhardsbruck hatte der alte Dorian gesagt. In zwei Wochen würden sie dort sein, wenn alles gut ginge. Er mache sich Sorgen um den alten Klepper, der den Wagen zog. Früher oder später müssten sie einen neuen Gaul kaufen. Zunächst kämen sie durch mehrere Dörfer. Kornweiler, Hirtenstedt. Ob er da schon mal gewesen wäre? Taiki hörte ihm gar nicht richtig zu. Hätte er sich jetzt noch einmal umgedreht und nach Neusalzhausen zurückgeschaut, so hätte er, etwas oberhalb der Stadt, die im Dunkeln kaum auszumachen war, das lodernde Feuer sehen können, welches das Haus seiner Verwandtschaft bis auf die Grundmauern niederbrannte. Doch da Taiki nur nach vorn blickte und nicht auf die zerstörten Hoffnungen und Wünsche zurück, blieb er ahnungslos.
Bartholo holte die Holzpuppen aus der Truhe. „Versuch mal, ob du damit umgehen kannst. Vielleicht taugst du als Puppenspieler.“
Taiki lachte. Seit Tagen schon suchten sie sein Gauklertalent. Als Jongleur oder als Akrobat taugte er jedenfalls nicht. Ihm taten jetzt noch die Knochen weh vom Hinfallen. Dorian und Bartholo hegten inzwischen bestimmt Zweifel, ob er jemals als einer der ihren sein Brot verdienen würde. Er selbst zweifelte ganz sicher. Wenigstens war er nützlich bei der Pflege des alten Pferdes, das mittlerweile nicht mehr so oft lahmte, weil er ihm jeden Abend die Hände auflegte. Und er steuerte
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