Die Drachenperle (German Edition)
Verflucht seist du, auf immer und ewig, du wertloses Stück Barbarendreck, ich hasse dich! Schlangen und Würmer sollen dein Gedärm fressen, elend sollst du zugrunde gehen!“ Und dann ging es weiter mit den inneren Bildern, bis zum heutigen Tage. Wie er in Todesangst im Kerker lag. Wie Meister Tock ihn befreite. Das Floß, die lange Fahrt auf der Donn´aid. Seine neuen Freunde. Er sang wieder für Lydia, er lag vertrauensvoll auf der Liege in der Kammer unter den Händen seiner Urgroßmutter, lag zwischen den Schafen und Ziegen auf der Hangwiese und flog mit den Wolken, lernte unter Anleitung Heilarbeit an Kiri, reiste wieder träumend mit den Wolken, stand auf dem Podium vor Sina, lag mit Kiri verschlungen im Gras, öffnete die Vorladung und saß dann in dieser Kammer, umgeben von drei Mönchen, die sich Seher aus den Bergen nannten – und kehrte dann wieder, allein mit sich selbst in seinem Bewusstsein, in den tatsächlichen Moment und Ort aufatmend zurück. Es war vorbei.
Die Mönche erhoben sich, stellten sich an die Seite des Älteren. Dann verneigten sie sich gemeinsam tief vor Taiki. „Bevor wir gleich durch diese Tür gehen und vor die Vertreter des Rates und der Gilde treten, will ich dir noch etwas sagen. Normalerweise ist es nicht erlaubt, aber bei dir mache ich zu Recht eine Ausnahme. Denn du bist eine Ausnahme. In den Augen der Heiler bist du mit einem schweren Makel behaftet, denn du hast einen Fluch über einen Menschen geworfen, mit der Macht deines Geistes hast du Unheil über ihn heraufbeschworen, sodass er zu Tode kam. Wir haben im großen Spiegel des Schicksals gesehen, dass dein Hass seinen Darm entzündet hatte, haben gesehen, dass dein Bedürfnis nach Rache die Giftschlange auf Martok gelenkt hat. Du konntest nichts davon wissen, dass eine todbringende Schlange in der Siedlung war. Aber dennoch, du hast maßgeblich dazu beigetragen, dass Martoks Ende sehr früh kam. Zu früh. Du hast die Macht zu Heilen und zu Segnen, aber auch die Macht zu Töten. Das ist die Wahrheit über dich. Die Wahrheit ist auch, dass du das wunderbarste Potential in dir trägst, der größte und weiseste Heiler zu werden, den die Welt je gesehen hat. Du bist Teil einer sehr alten Prophezeiung. Aber hüte dich vor dem dunklen Weg der Macht. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Das erste Mal hast du getötet, ohne es wirklich zu wollen. Du wurdest unschuldig schuldig. Tötest du ein zweites Mal in deinem Leben, dann wird es eine bewusste Handlung sein und du kommst vom rechten Wege ab. Tötest du ein drittes Mal, dann kannst du diesen Weg nie wieder verlassen. Du hast mehr Macht, als dir jetzt bewusst sein kann. Und noch eins will ich dir sagen: Hüte dich vor deiner Urgroßmutter, sie ist wie eine Spinne, will dich in ihrem Netz einwickeln, aussaugen und für ihre eigensüchtigen Zwecke gebrauchen. Zum Glück hast du einen uralten, starken Wächter in dir. Wusstest du das?“
Taiki verneinte schweigend mit einer winzigen Geste.
„Nun“ , lächelte der Seher. „Du wirst ihm zweifellos noch begegnen.“
Einer nach dem anderen schritten sie nun durch die Tür. Hinter einem wuchtigen Tisch standen die Ratsherren Ulf und Rodovan, Athaja, Sina, Mareika und andere Vertreter der Gilde. Auf dem Tisch befand sich eine Alabasterschale mit Quellwasser. Neben ihr lag eine weiße Blüte. Auf der anderen Seite stand ein Gefäß mit Schlamm. Der Älteste der Mönche trat an den Tisch und kippte mit ernster Miene den sandigen Schlamm in die Schale, was gleichbedeutend mit „Makel“ war. Athaja stieß einen Triumphlaut aus und nahm das Mädchen Sina in ihre Arme. Über deren Schulter hinweg starrte sie herausfordernd zu ihrer Erzfeindin, die ihre Wut und Bitterkeit kaum verhehlen konnte. Dann aber tat der Mönch etwas Unerwartetes: mit einem kräftigen Schlag fegte er die verunreinigte Alabasterschale vom Tisch, so dass die ach so feinen Herrschaften nass und schmutzig wurden und legte mit großer Geste die weiße Lilie in die Mitte.
„Das ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit!“
Die Seher verließen schweigend die Tempelschule und würdigten ihre Auftraggeber keines Blickes mehr.
„Beim Heiligen Papyrus, was tut ihr da?“
Der Bibliothekar der Tempelschule starrte entgeistert auf das immense Durcheinander, das Konradi mittlerweile angerichtet hatte. Seit dem Tag des Meisterschülerrituals hatte er diese Räume nicht mehr verlassen. Fieberhaft suchend warf er all die Schriftrollen hinter sich, die
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