Die Drachenperle (German Edition)
Wir sind doch Teil einer Gemeinschaft und ich möchte gern alle meine Brüder und Schwestern kennen. Darf ich, bevor du gehst?“
„Ja, meinetwegen.“
Josayah öffnete seine geistige Abschirmung und nahm Taiki in seiner anderen Gestalt wahr. Nie zuvor hatte er solch eine Strahlkraft gesehen! Der Junge musste eine unglaubliche Gabe haben, pure Energie durchfloss ihn. Da war so viel Licht und Liebe in ihm! Und diese Farben erst! Ein herrliches Grün, Silber und Gold, ein Hauch von Rosa. Er musste ein begnadeter Heiler sein! Doch da war auch ein Grau, das sich wie ein Joch um seine Schultern gelegt hatte. Josayah hatte fürs Erste genug gesehen.
„Danke, Taiki. Nun werde ich dich immer wiedererkennen, nicht nur an deiner Stimme oder deinen Schritten. Es war schön, dich kennenzulernen. Doch würde ich dir gerne zu einem besseren Schlaf verhelfen. Ich biete dir an, dass du jederzeit zu mir kommen kannst, wenn du doch über dich und deine Gabe sprechen möchtest. Geteilte Last ist halbe Last. Altes Sprichwort der Siechenheimer. Wir verstehen was davon , “ witzelte Josayah.
Frido winkte Taiki hinterher, als dieser die Anhöhe verließ und zu den Schafweiden zurückkehrte.
„Frido?“
„Ja, Josayah?“
„Ich habe eine Bitte an dich. Du sollst krank werden.“
„Wie bitte ?“
„Du sollst in ein paar Tagen so tun, als wärest du krank. Ich muss unbedingt Taiki näher kommen. Das wird mir am einfachsten gelingen, wenn er eine Weile für mich sorgt, verstehst du? Ich will ihn Tag und Nacht bei mir haben, bis er sich öffnen mag. Er leidet sehr.“
„Ah, jetzt verstehe ich. Gut, ich gehe übermorgen zur Ansiedlung hinunter und mache mir einige faule Tage.“
„Ha, bilde dir bloß nichts ein. Aidan wird dich schon zu beschäftigen wissen. Und jetzt hilf mir bitte auf, ich muss mich wieder etwas hinlegen.“
Aidan spürte die Kühle des Abends kaum, denn er hackte seit Stunden Holz und war durch die Anstrengung in Schweiß gebadet. Sein Hemd hatte er längst ausgezogen und auf einen Ast gehängt. Der stetige Rhythmus der Arbeit tat ihm gut. Sein Körper war beschäftigt, seine Gedanken waren frei. Er dachte an die erste und einzige große Liebe seines Lebens. Ihr Haar war rabenschwarz gewesen, ihre Augen so grün wie Birkenblätter. Nein, etwas dunkler. Eher wie unreife Pflaumen. Aidan lachte kurz auf. Er hatte ihre Augen tatsächlich einmal so beschrieben und hatte dafür gebüßt. Oh, was konnte sie wütend werden und wie entzückend sie dabei war! Sie hatte ihn zur Strafe für seine uncharmante Beschreibung kräftig ins Ohr gezwickt. Aua. Was waren wir doch herrlich jung gewesen! Warum musste er heute an sie denken? Eigentlich erlaubte er sich nicht, in vergangenen Zeiten zu schwelgen. Etwas musste die Tür zum alten Leben aufgestoßen haben. Als er erneut einen großen Holzklotz auf den Hackstock legte und zum Schlag ausholte, kam Taiki des Wegs, die Hände mit Waldpilzen gefüllt.
„Schau Aidan, die ersten Rotkappen und Stockschwämmchen. Ich werde sie zu Hilda und Olaf ins Küchenhaus bringen.“
„Gut. Mach das. Warst du heute bei Josayah?“
„Ja.“
„Und?“
Taiki zuckte mit den Schultern. „Nichts und. Er hat mir von seiner Gabe erzählt und wollte mich kurz auf seine Art sehen, und dann bin ich gegangen.“
Um seine Enttäuschung zu verbergen, wandte sich Aidan ab und fuhr mit dem Holzhacken fort. Er hatte sich von der Begegnung mehr erhofft. Ein Scheit, noch ein Scheit… Er bemerkte, dass Taiki immer noch hinter ihm stand.
„Warum gehst du nicht zum Küchenhaus? Taiki? Alles in Ordnung? Warum starrst du mich so entgeistert an?“
„Deine Schulter, Aidan. Was hast du da auf deinem linken Schulterblatt?“
„Oh, ein Stück Vergangenheit. Nichts weiter. Nichts, was noch von Bedeutung wäre.“
„Aidan! Du bist ein Messerheiler aus Neusalzhausen, nicht wahr?“
„Wie kommst du darauf?“
„Die Tätowierung. Ich kenne sie. Zwei Flammen, sehen aus wie zwei Tropfen Blut. Du warst oder bist ein Mitglied der Messerheilergilde. Warum bist du nicht bei den Deinen geblieben? Jetzt bist du ein Ordensbruder, warum?“
Aidan hieb das Beil ins Holz und legte seine Hände mit festem Griff auf Taikis Schultern.
„Niemand hier weiß davon, niemand kennt die Bedeutung. Aber du! Woher? Taiki, jetzt kommst du nicht mehr drum herum. Wir reden jetzt. Und zwar über alles! Komm mir nicht mit deinen Ausflüchten. Ich will jetzt alles über dich erfahren. Ab mit dir in meine Hütte.
Weitere Kostenlose Bücher