Die Drachenperle (German Edition)
Barmherzigen seine Pflicht, ihn zu beschützen und zu begleiten.
Aidan räusperte sich und suchte Taikis Aufmerksamkeit. „Wohin willst du eigentlich? Möglicherweise haben wir denselben Weg vor uns und könnten eine Strecke gemeinsam bewältigen.“
Taiki zuckte nur mit den Schultern. Wenn der Mann doch nur aufhören würde zu reden und ihn zu bedrängen. Er wollte lieber allein sein. Es gab so viel, worüber er nachdenken musste.
„Hast du denn ein Zuhause? Oder ein Ziel?“
„Nicht mehr.“
„Verstehe. Hör mal zu, ich mache dir einen Vorschlag. Ich biete dir an, dich mitzunehmen zu den Meinen. Ich gehöre einer Bruderschaft an. Wir kümmern uns um andere Menschen. Um solche, die sich nicht mehr selber helfen können. Alte, Kranke, Krüppel. Auch um Waisenkinder.“
Taiki funkelte ihn mit matter Wut an. „Ich bin kein Kind mehr.“
„Nein. Das wollte ich auch nicht damit sagen. Aber du scheinst mir ein Heimatloser zu sein. Jemand, der Schweres auf seinen Schultern zu tragen hat. Ich möchte dir nur etwas Gemeinschaft anbieten, Zeit zum Ausruhen. Als Gegenleistung würde ich von dir erwarten, dass du der Bruderschaft etwas behilflich bist bei der Versorgung unserer Schutzbefohlenen. Ich will dir kein Almosen geben, klar?“ Als keine Reaktion kam, wurde es Aidan zu bunt. Er knuffte Taiki freundschaftlich an den Arm und fragte erneut „Klar? Junge, nun zeig mal, dass noch etwas Leben in dir steckt.“
„Entschuldigt bitte, ich war unhöflich. Ja, geht klar. Ich weiß ehrlich nicht, wohin ich gehen sollte. Oder warum. Ich werde mit Euch mitkommen, Herr.“
Warum nennt er mich Herr , wunderte sich Aidan. Das dürfte interessant werden, seine Geschichte zu erfahren. Vor allem, woher kennt er die Kräuter und ihre Anwendung? Das ist kein üblicher Landstreicher. In ihm steckt was. Aidan löschte mit Sand das kleine Feuer, das eh schon fast völlig niedergebrannt war, packte seine Utensilien zusammen und stieß einen scharfen Pfiff aus. Kurze Zeit später kam ein prächtiger Hengst angaloppiert, hielt dich bei ihm und scharrte mit seinen Hufen, seinen Herrn mit freudigem Gewieher begrüßend. Taiki s Lebensgeister erwachten beim Anblick dieses herrlichen Geschöpfes.
Der Sommer neigte sich nun dem Ende zu, die Nächte wurden merklich kühler. Es war die Zeit der Hochernte. Die Lager und Schuppen füllten sich durch die Arbeit vieler Hände. Jeder Bewohner von Sonnenbühlheim, der dazu trotz seines Gebrechens imstande war, war auf den Feldern tätig, mit dem Sammeln von Pilzen und Nüssen beschäftigt oder in der großen Küche hilfreich, wo für alle Dorfbewohner täglich das Essen zubereitet wurde. Dieser Ort war eine Zuflucht, geschaffen von den Brüdern des Ordens der Barmherzigkeit. Sie widmeten ihr Leben dem Schutz und der Hilfestellung für Menschen, die von ihren Familien oder Gemeinden vernachlässigt oder gar verstoßen wurden. Die Brüder hatten schwer gearbeitet, um die Siedlung Haus für Haus zu vergrößern. Ihre kleine Gemeinde wuchs langsam, aber beständig. Die Zusammenarbeit mit den umliegenden Ortschaften, die sich so ihrer „schwachen Elemente“ bequem entledigen konnten, war ausreichend. Nicht alles konnten sie selber herstellen oder allein bewältigen. Insgesamt lebten 83 Bewohner in Sonnenbühlheim, die Ordensbrüder inbegriffen. Der schwarzhaarige Junge, den Aidan vor Wochen mitgebracht hatte, war nun einer davon. Taiki arbeitete von allen am Härtesten. Nicht nur auf den Feldern, auch auf den Weiden, wo er die Verantwortung für die Schafe übernommen hatte. Wenn die Sonne aufging, war Taiki längst auf den Beinen. Ging sie unter, dachte er noch lange nicht an Feierabend. Ohne diese körperliche Erschöpfung fand er keinen Schlaf. Nach wie vor träumte er viel und wachte manchmal mit Herzklopfen auf und starrte dann lange ins Dunkel. Tiefe Augenschatten zeugten davon.
Aidan sah es mit Sorge. Bisher hatte er nicht viel aus dem Jungen herausbekommen. Nur, dass er von seinen Gefährten getrennt worden war, als sie im Wolfswald überfallen wurden. Als erfahrener Ordensbruder wusste Aidan, dass sein neuer Schützling ihm vieles verschwiegen hatte und dass der Kummer, den er so tief in sich verbarg, groß und schwer sein musste. Zu groß für einen so jungen Menschen. Darum war er mit seinen Mitbrüdern übereingekommen, Taiki zum Blinden Seher zu bringen, der die meiste Zeit des Jahres abgeschieden auf der Anhöhe lebte, in den Ruinen des alten Tempels.
Josayah hörte ihn
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