Die Drachenperle (German Edition)
dass Ingay und Jolim im zeitigen Frühjahr, sobald das Reisen auf den Wegen wieder sicher war, als Helfer des Ordens nach Sonnenbühlheim umsiedeln würden.
Und das war beileibe keine Schnapsidee, wenngleich der Vogelbeergeist seinen Beitrag dazu geleistet hatte.
Der nächste Morgen war kühl und feucht. Dunkelgraue Wolken zogen tief über die Berge. Aidan hatte sich einige Schritte zurückfallen lassen und ging hinter Taiki und Goderich, dem Vermögensverwalter, versonnen her. So viele Jahre waren vergangen, seit er diese Stadt verlassen hatte. Durch diese Gassen war er so oft gegangen. Auf dieser Bank unter dem Versammlungsbaum hatte er mit seinen Lehrern heiß diskutiert, in dieser Werkstatt hatte er sein erstes Skalpell gekauft… Und hier, genau hier an dieser Ecke neben der Apotheke hatte er Aurelia das erste Mal geküsst. Flüchtig und heimlich. Sie waren so jung gewesen, als sie ihre Liebe zueinander entdeckten. Sein Herz tat ihm weh, wenn er an Aurelia dachte. Sie hatten so gut zueinander gepasst, doch waren ihre Tage als Paar gezählt gewesen. Aber die Götter von Goro hatten ihm nun einen Sohn geschenkt. Und was für einen! Aidan erneuerte still seinen Schwur an Aurelia, dass er diesen lebenden Beweis ihrer tiefen Liebe allzeit mit all seiner Kraft beschützen, fördern und lieben würde.
Goderich führte sie nun Richtung Rathaus. Es war unterkellert und beherbergte nicht nur alte Schriftrollen, Urkunden, Stammbäume und Chroniken, sondern auch einige Schatzkammern, die gemietet werden konnten. Nicht ohne Grund war das Rathaus das bestbewachte Gebäude der Stadt. Rund um die Uhr. Zuerst suchten sie gemeinsam den Notar auf, der seinerzeit Mareikas Testament besiegelt hatte. Nachdem er Goderich bestätigt hatte, dass der junge Ordensbruder in der Tat Taiki, der Urenkel und Alleinerbe der Mareika war, stiegen sie alle gemeinsam die Steintreppe hinab in die Räume unterhalb des Rathauses. „Erbe aller beweglichen und unbeweglichen Güter“ – was sich dahinter verbarg, sollte Taiki nun erfahren. Vermögensverwalter und Notar forderten die Wache auf, die wuchtige und mit Eisen beschlagene Eichenholztür zum Schatzkammerbereich zu öffnen. Dahinter lag ein langer, dunkler Gang, der nur von einigen Fackeln erleuchtet wurde, die ein weiterer Wachsoldat nun anzündete. Aidan fiel auf, dass es hier unten gar nicht muffig roch. Es war kühl, wie zu erwarten. Aber es musste offenbar irgendwo einen Frischluftzugang geben. Der Vermögenspfleger öffnete nacheinander drei Schlösser an der Kammertür, das vierte wurde vom Notar geöffnet.
„Hier ist Mareikas Schatzkammer. Und somit nun Eure, junger Herr Taiki. Tretet bitte ein!“
Es war nicht nur das viele Gold und Silber, was Taiki erschauern ließ. Hier stapelten sich Schmuckstücke, Bücher, kunstvolle Schnitzarbeiten, kostbare Wandteppiche und herrliche Tuchballen und anderes mehr. Er erkannte die Weber-Handschrift seiner Großmutter. Warum hatte Mareika diese schönen Werke hier verborgen? Sein fragender Blick blieb Goderich nicht verborgen. Ohne Aufforderung gab er ihm eine Erklärung: „Mareika hat durch Mittelsmänner viele Stücke von Lydia gekauft. Zum einen, damit ihre Tochter immer genug Zahlungsmittel zur Verfügung hatte, zum anderen, weil sie ihre Arbeit hoch wertschätzte. Aber sie war zu stolz, um das vor Lydia zuzugeben. Mareika hatte durchaus Sinn für Schönes. Sie war ein schwer zu verstehender Mensch. Mit einer seltsamen Beziehung zu ihrer Tochter.“
„Vater, sieh nur. Solch ein Reichtum. Was mache ich nur damit? Das können wir doch nicht mit nach Hause nehmen.“
„Ganz sicher nicht, Taiki.“
Goderich hüstelte. „Wenn ich einen Vorschlag unterbreiten dürfte – ich habe über 30 Jahre lang den Besitz anderer verwaltet und vermehrt durch gute Geschäfte, äußerste Sorgfalt, Erfahrung und Integrität. Ich biete Euch meine Dienste an. Gegen ein entsprechendes Salär. Welches ich aber im Allgemeinen selber erwirtschafte, somit habt ihr keinen nennenswerten Verlust. Nehmt, was Ihr jetzt benötigt und schickt mir eine Nachricht, wenn mehr gewünscht wird. Ich habe meine Leute, die diskret und sicher arbeiten und ausliefern. Euer Besitz ist hier in guten Händen.“
„Ich nehme Eure Dienste gern in Anspruch, Goderich. Notar, bitte nehmt das schriftlich auf. Was ist eigentlich mit dem Grundstück auf der Berganhöhe? Und das Vieh auf der kleinen Weide? Kümmert sich jemand darum?“
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