Die Drachenreiter von Pern 14 - Drachenauge
zur Halle geöffnet und blieb dann wie angewurzelt stehen, so dass Paulin ihn um ein Haar angerempelt hätte. Verblüfft starrte der alte Lord auf die gegenüberliegende Wand. Dann schwenkte er herum und fuhr Vergerin an: »Warum unter der Sonne haben Sie sein Porträt hierhin gehängt?«
Paulin und S'nan spähten in die Richtung, in die Jamsons ausgestreckter Arm zeigte.
Paulin fing an zu lachen. »Wann hat Iantine es … korrigiert?«, wollte er wissen.
»Ich erhielt es erst gestern.« Vergerin schritt durch die Halle und blieb unter dem Bild stehen. »Ich finde, jetzt ist das Konterfei lebensecht.«
Eine Zeit lang herrschte Schweigen, während die Männer das Porträt anschauten, das nun den ehemaligen Burgherrn von Bitra naturgetreu zeigte, mitsamt seinem unreinen Teint, den eng beieinander liegenden Augen, dem schütteren Haar und dem hässlichen Leberfleck auf dem Kinn.
S'nan zog die Nase hoch. »Wieso wollen Sie die Visage ständig im Blickfeld haben, Vergerin?«
»Erstens soll dieser Anblick mich daran erinnern, was es in Bitra noch alles zu verbessern gibt. Zweitens ist es Tradition, die Konterfeis der vormaligen Burgherren in der Galerie auszustellen.« Er zeigte auf die Wand nahe der Treppe, an der die Ahnenporträts hingen.
Jamson hüstelte ein paarmal. »Weiß man, wie es Chalkin geht?«
Paulin zuckte die Achseln und sah zu S'nan hinüber.
»Er bekam eine Menge Vorräte mit«, entgegnete der Weyrführer. »Es hätte sicherlich wenig Sinn, irgendeine Form von Kontakt zu pflegen.«
»Und seine Kinder?«, fragte Jamson mit kalt glitzernden Augen.
Vergerin schmunzelte. »Mir scheint, sie haben sich gebessert. Sie sind gesünder, umgänglicher und viel disziplinierter.«
»Disziplin hatten sie dringend nötig«, ergänzte Paulin.
»Vielleicht werden Sie noch eine Überraschung erleben, Lord Paulin«, meinte Vergerin vergnügt.
»Ich bin auf alles gefasst.«
»Wenn man ein Kind richtig erzieht, wird daraus ein anständiger Erwachsener«, gab Jamson salbungsvoll von sich.
»Kommen Sie mit«, forderte Vergerin seine Gäste auf.
Durch einen Gang führte er sie in einen Raum, der früher als Spielzimmer gedient hatte. Man hörte gedämpftes Singen. Paulin erkannte die Melodie eines Liedes, das erst neulich vom Kollegium komponiert worden war. Als sie näher kamen, erkannte er den Text der Ballade über die Pflichten. Jamson räusperte sich abermals und schneuzte sich vernehmlich die Nase.
Leise öffnete Vergerin die Tür. Die Schüler – es waren viel mehr, als Paulin erwartet hatte – kehrten ihnen den Rücken zu. Ihr Lehrer – zu seiner Verblüffung erkannte Paulin Issony – nickte den Männern grüßend zu und fuhr fort, den Takt des Liedes zu schlagen.
Kinderstimmen rühren immer ans Herz, vielleicht, weil in ihnen eine grundlegende Unschuld mitschwingt. Selbst Jamson lächelte, doch der nächste Vers, den die Schüler anstimmten, handelte von den Pflichten und Verantwortungen eines Burgherrn.
»Wo sitzen Chalkins Sprösslinge?«, wisperte Paulin Vergerin zu.
Der deutete mit dem Finger, und Paulin nahm die Buben und Mädchen, die in der ersten Reihe saßen, näher in Augenschein. Chalkins Nachkommenschaft war wesentlich besser gekleidet als die Kinder der Pächter, doch sie wirkten genauso aufmerksam und sangen nach Leibeskräften mit. Chalkins älteste Tochter hatte ein durchdringendes Organ, das alle anderen Stimmen übertönte. Paulin schmunzelte in sich hinein. Darin schlug sie wohl nach ihrer Mutter.
Vergerin gab ihnen ein Zeichen, sie sollten sich jetzt zurückziehen.
»Issony hatte Recht, als er sagte, Kinder brauchen einen gesunden Wettbewerb. Mit den Abkömmlingen der Pächter hat man es leichter; sie wollen lernen, um im Leben voran zu kommen. Chaldon ist fest entschlossen, die Kinder aus einfachen Verhältnissen mit guten Leistungen auszustechen. Sicher, Chalkins Gören sind immer noch schwieriger zu bändigen als der Rest der Klasse, aber ich gab Issony freie Hand, mit ihnen nach Belieben zu verfahren. Bis jetzt hat sich noch niemand beschwert.«
»Und wie geht es Nadona?«, erkundigte sich Paulin.
Vergerin hob die Augenbrauen. »Im Wesentlichen lernt sie dieselbe Lektion wie ihre Kinder, doch sie ist ein bisschen schwer von Begriff, wie Issony sagen würde. Sie bewohnt ihre eigenen Räume in einer der oberen Etagen und verlässt sie nur äußerst selten.«
»Vielleicht hat sie Angst, Sie könnten sie zu Arbeiten heranziehen«, mutmaßte Paulin scherzhaft.
»Das mag
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