Die Drachenschwestern
sie das, was sie jetzt
vorhatte, unmöglich auf der Toilette der Buchhandlung durchführen. Da, jetzt
hatte sie es gefunden. Sie schnappte sich die in Zellophan eingeschweißte
Packung und verschwand im Badezimmer. Wer erfindet bloß immer diese blöden
Verpackungsmethoden, schimpfte sie vor sich hin, während sie mit dem Plastik
kämpfte. Endlich hatte sie es geschafft. Geschwind überflog sie die Packungsbeilage
und folgte den Anweisungen. So, jetzt hieß es warten. Die erforderlichen fünf
Minuten Wartezeit dehnten sich bereits nach den ersten Sekunden zur
Unendlichkeit. Genervt verließ sie das Badezimmer und begann planlos ihr
Wohnzimmer aufzuräumen. Oder besser gesagt, Dinge von A nach B zu räumen und
wieder zurück. Als sie ihr bewusst wurde, was sie da machte, stoppte sie. Das
hatte ja nun wirklich keinen Zweck. Hoffnungsvoll warf sie einen Blick auf die
Uhr, die auf dem Wohnzimmertisch stand. Immer noch zwei Minuten. Vielleicht
sollte sie Kaja anrufen? Sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Sie wollte
nicht mit jemandem ins Gespräch vertieft sein, wenn sie das Ergebnis ablas. In
einem letzten Versuch, sich abzulenken, stellte sie sich ans Fenster und
schaute hinunter auf die Straße, die vier Stockwerke tiefer lag. Während sich
ihr Leben in den nächsten zwei Minuten vielleicht unwiderruflich verändern
würde, ginge das Leben der Fußgänger, Fahrradfahrer und Automobilsten unter ihr
seinen normalen Gang. Das vibrieren ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken.
Die fünf Minuten waren um. Jetzt wo die Zeit abgelaufen war, hatte sie es
plötzlich nicht mehr so eilig, ins Badezimmer zu kommen. Reiß dich zusammen,
schalt sie sich selber. So zu zaudern sah ihr gar nicht ähnlich. Sie gab sich
einen Ruck und marschierte entschlossen in ihr kleines Badezimmer. Vorsichtig,
als wäre das was auf dem Waschbeckenrand lag bissig, näherte sie sich dem
Lavabo und hob das Plastikstäbchen auf. Nur um es gleich wieder hin zu legen
und hektisch noch einmal die Packungsbeilage zu lesen. Ein sichtbarer Strich,
negativ, zwei Striche, positiv. Negativ, Positiv, das hängt ja wohl vom Auge
des Betrachters ab, dachte sie mürrisch. Sie schielte auf den Teststreifen im
Waschbecken. Dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und las das Ergebnis ab. Zwei
Striche. Wie vom Donner gerührt stand sie da. Schweiß brach aus ihren Poren und
ihre Augen füllten sich mit Tränen. Schwer ließ sie sich an die Wand hinter
ihrem Rücken fallen und rutschte langsam daran hinunter, bis sie am Boden saß.
Warum, warum muss mir das passieren. Schwanger. Leise weinte sie vor sich hin,
während sie im Inneren einen einseitigen Dialog mit sich führte. Wie konnte
denn das überhaupt passieren? Sie war doch immer so vorsichtig gewesen. Und
ausgerechnet jetzt, wo sie sich gelobt hatte, mit dieser sinnlosen Männerjagd
aufzuhören und ihr Leben in den Griff zu kriegen. Blind starrte sie ihr
Badezimmerkästchen an. Wer war denn überhaupt der Vater? Schließlich hatte sie
sich bereits gebessert und war gar nicht mehr im Ausgang gewesen. Sie presste
ihre Hände an ihre heißen Wangen, als ihr auf einmal die Halloweenparty in den
Sinn kam, die sie vor knapp sechs Wochen besucht hatte. So in ihren Kummer
versunken hörte sie weder Chili, der wie wild an der Tür kratzte und
eingelassen werden wollte, noch fiel ihr auf, dass plötzlich ein gesummtes
Wiegenlied den kleinen Raum füllte. Fieberhaft dachte sie nach. Matt hatte ihre
Zufallsbekanntschaft geheißen, fiel ihr wieder ein. Zumindest war er nett
gewesen. Und gutaussehend. Und sehr talentiert im Bett. Bei der Erinnerung
daran merkte sie bestürzt, wie sich Hitze von ihrem Bauch aus in andere
Körperregionen verteilte. Na prima, schimpfte sie, lustvolle Gedanken konnte
sie jetzt definitiv nicht gebrauchen. Man sah ja, zu was das beim letzten Mal
geführt hat. Trübselig dachte sie, dass der Spaßige Teil ihres Lebens wohl
vorbei war. So kam es ihr auf jeden Fall vor. Mist, was mache ich jetzt nur.
Sie schniefte und stemmte sich hoch, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu
waschen. Sie blickte in den Spiegel und staunte, dass ihr immer noch ihr
eigenes vertrautes Gesicht mit den kurzen weißblonden Locken und den
dunkelblauen Augen entgegen schaute. Zugegebenermaßen hatte sie rote Flecken
auf der Haut und rotgeränderte Augen vom vielen Weinen. Sie legte sich den
Waschlappen auf die Stirn und genoss das angenehm kühle Gefühl. Was war denn
das? Hatte sie Musik eingestellt in ihrem vorigen
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