Die drei Frauen von Westport
Cousin Lou. »Ich glaube, das müssten wir Mrs. James Houghteling fragen!« Und er sprach noch dreimal den Namen jener längst verschiedenen Dame aus, bevor er auflegte.
Und so kam es, dass BettyWeissmann gegen den Rat des Scheidungsanwalts, den sie sich auf Annies Drängen hin genommen hatte, und gegen die Gesinnung des Geistes der Gattin des einstigen Leiters der Einwanderungsbehörde beschloss, aus New York zu emigrieren und an einem Ort Zuflucht zu suchen, den Cousin Lou nun mit dem Namen »Houghteling Cottage« versehen hatte.
3
MirandaWeissmann war schrecklich. Zu diesem Schluss waren die Leute gekommen, als Augengymnastik vor einigen Jahren der letzte Schrei war, weshalb Miranda sich weigerte, Brille oder Kontaktlinsen zu tragen, und infolgedessen grußlos an Leuten vorüberrauschte, die sie eigentlich kannte. Als sie sich zu diesem vermeintlich unnahbaren Gehabe noch die Gewohnheit zulegte, ihre Assistentin zur Suche nach Gegenständen aufzufordern, die direkt vor ihrer Nase lagen, undVerleger zum Essen einzuladen, die R echnung jedoch dann zu übersehen, so dass die Betreffenden selbst zahlen mussten, hatte sie ihren R uf begründet. Kurzsichtigkeit hatte dafür gesorgt, dass Miranda als launisch, arrogant, verschlagen und herrschsüchtig galt. Kurzsichtigkeit hatte ihr Image geformt.
Dies war zu Anfang ihrer Karriere gewesen. Ein Jahr später verlegte Miranda sich auf Inversionstherapie und Marathonlauf, versah zu diesem Zweck ihre Augen mit Kontaktlinsen und begrüßte nun herzlich alte Freunde und Bekannte, die sie plötzlich wieder sehen konnte. Die Leute waren gerührt und geschmeichelt, und bei jungen Schriftstellern hieß es bald, MirandaWeissmann sei zwar unberechenbar, jedoch sehr verlässlich, wenn sie jemanden erst einmal wahrgenommen hatte.Was auch tatsächlich zutraf, und so ging die MirandaWeissmann Literary Agency auf Erfolgskurs.
»Ich bin ein wandelnder Albtraum«, pflegte Miranda mit unschuldigem Lächeln zu ihrer jeweils neuesten Assistentin zu sagen.
Auch das traf zu. Sie konnte bissig und entwaffnend warmherzig zugleich sein. Sie ging rüde mit ihren Assistentinnen um, verlangte Ordnung und Gehorsam, um ihre eigene Unordentlichkeit und chaotische Zerstreutheit auszugleichen. Dann wieder verhätschelte sie die Frauen wie eine fürsorgliche Mutter. Ihre Assistentinnen zitterten vor ihr, blühten auf, wenn sie gelobt wurden, bewunderten und verabscheuten Miranda. Sie kündigten jeweils so bald wie möglich, aber es war am Ende immer Miranda selbst, die dafür sorgte, dass sie wunderbare neue Stellen fanden. Man sagte Miranda vieles nach – dass sie das personifizierte Grauen, eine Furie oder eben ein wandelnder Albtraum sei –, aber niemals hatte in der Klatsch- undTratschküche ihrer kleinenWelt jemand an ihrerVerlässlichkeit oder ihrem guten Willen gezweifelt. Im Privatleben wie im Beruf war MirandaWeissmann auf Melodramen spezialisiert. Aber sie bestand in beiden Bereichen immer auf einem Happy End.
Für ihre Familie war Mirandas Unberechenbarkeit berechenbar geworden. Als sie noch klein war, bekam MirandaWutanfälle; später widmete sie sich allem, was sie gerade interessierte, mit besessener Leidenschaft und gebärdete sich mitVorliebe dramatisch. Doch bei aller Neigung zu Pathos und Dramen konnte Miranda auch ungemein liebevoll sein. Miranda ist manipulativ, raunte Joseph eines Abends Betty zu, als sie im Bett lagen und er darüber nachsann, wie glücklich er darüber war, diese kleine Familie geerbt zu haben. Gewiss, manipulativ war Miranda, aber von wem ließe man sich lieber manipulieren?
»Manipulanda« wurde sie von Annie genannt.
Doch nun hatte Manipulanda Angst. Die Scheidung von Betty und Josie war eine Katastrophe, für sämtliche Beteiligten ohne Aussicht auf ein Happy End. Miranda war wohl bewusst, dass ihre Mutter sie nun brauchte – eine erschreckende Erkenntnis für das jüngste Kind der Familie. Noch schlimmer allerdings fand sie dieTatsache, dass auch sie ihre Mutter mehr brauchte als je zuvor.
Manchmal konnte Miranda jetzt nachts nicht schlafen, sondern starrte versteinert vor Angst an die Zimmerdecke wie ein Kind nach einem bösenTraum.
Aber sie war kein Kind mehr, sondern neunundvierzig Jahre alt. In diesem Alter sollte man mit einer Scheidung eigentlich gelassener umgehen können.Wurde ihr gesagt.
»Das ist wie in diesem Witz, in dem das alte jüdische Ehepaar in Miami zum Rabbi geht und sagt, wir wollen uns scheiden lassen, und der antwortet,
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