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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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manchmal vor wie eine Opiumsüchtige, die mit erfundenen Fremden in einer verrauchten, süßlich duftenden Höhle lag, unansprechbar und gleichgültig gegenüber der Außenwelt, die Augen geschlossen, versunken in denTräumen anderer Menschen. Vielleicht war Miranda aufgrund dieser Eigenheiten ihrer Schwester so erstaunt, als sie feststellte, dass auch Annie traurig, orientierungslos und vor allem wütend war.
    »Ich vermisse ihn«, sagte Annie. »Und ich hasse ihn. Aus tiefster Seele. Ich verabscheue und hasse ihn.«
    »Das Leben ist von tragischen Widersprüchen durchsetzt«, verkündete Miranda recht triumphierend.
    Das gehörte zu ihren Überzeugungen: Das Leben war von tragischen Widersprüchen durchsetzt – doch am Ende wurde alles gut. Derzeit allerdings fiel es ihr angesichts von Josies Umgang mit ihrer Mutter schwer, die zweite Hälfte dieses Glaubenssatzes auszusprechen.
    Annie, der diese Unterlassung nicht entgangen war, wollte sich gerade dazu äußern, als Mirandas Handy klingelte. Früher hätte sich Miranda an dieser Stelle genüsslich in ein Gespräch gestürzt, in dem kein noch so schmutziges Detail von der Art gefehlt hätte, wie ihre Autoren sie bevorzugten. Doch diesmal sagte sie nur mit matter Stimme: »Das muss wohl dann reichen.«
    »Was Geschäftliches?«, fragte Annie, als ihre Schwester das Handy wegsteckte.
    »Zumindest das, was noch davon übrig ist.« Miranda holte tief Luft. Scheitern war wie eine tödliche Krankheit. Die Leute versuchten so zu tun, als gäbe es dergleichen nicht, wandten sich mit mitleidigem Blick hastig ab, verstummten, wenn man unvermittelt zu ihnen trat. Und auch Miranda selbst verhielt sich so; dennoch war das Scheitern immer da, wie die Luft, die sie atmete.
    Annie, die offenbar die Stimmung erspürte, sagte: »Tut mir leid«, und sah dabei genauso peinlich berührt aus wie alle anderen.
    »Du kannst ja wohl kaum was dafür.«
    »Tut mir trotzdem leid.«
    Miranda hakte sich bei ihrer Schwester unter, um sie zu beruhigen; nach ein paar Schritten hoffte sie, dass Annie nun genügend beruhigt war, und ließ wieder los.
    In der umkämpftenWohnung leerte BettyWeissmann mit einer gewissen Zufriedenheit eine Flasche von Josephs bestem Single Malt Whisky. Besonders groß war die Zufriedenheit allerdings nicht, denn Betty mochte Single Malt nicht.
    Und wo steckte Joseph? Mit einer Frau abgehauen, zweifellos. Einer anderen Frau. Und Betty blieb nur dieser grässliche Whisky, der nach Moder und Schmutz schmeckte. Die andere Frau dagegen, wer auch immer sie sein mochte, hatte Joseph. Zum Heulen. Aber Betty hatte keine Kraft mehr zu heulen, weil sie es bereits zu ausgiebig getan hatte. Sie würde ihre Habe in ein Taschentuch knoten, selbiges an einen Stock hängen, ihn über die Schulter legen wie eines der drei kleinen Schweinchen und mit dem Zug zu einem Cottage in Westport fahren, ihrem Schicksal entgegen. Ein Wolf, der ihr Haus zerstörte, war in ihrem Schicksal nicht vorgesehen, denn das war bereits geschehen. Aber Betty konnte sich das Schicksal einer älteren geschiedenen Frau durchaus vorstellen: Es war düster.
    Ich habe eine Idee.
    Annie nahm diese Bemerkung ihrer Schwester ebenso am Rande wahr wie das unablässige Rauschen desVerkehrs. Sie reagierte auch nicht auf Mirandas Äußerung, sondern ging im Kopf die R ücklagen durch, die Joseph schon vor langer Zeit aus steuerlichen Gründen im Namen ihrer Mutter angelegt hatte. Davon konnte sich Betty einenTeil für Essen und Benzin abzweigen. Und auch der neue Josie mit seinem Gehirntumor – denn eine andere Erklärung konnte es für sein widerwärtiges Benehmen nicht geben – würde gewiss ihre Krankenkassenbeiträge weiterhin bezahlen. Die Autoversicherung war bereits für den R est des Jahres erledigt. Das hatte Annie mit Josies Sekretärin geklärt, die zwar ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal war, aberVerständnis für Bettys missliche Lage zeigte.Wenn Annie und Miranda ihre Mutter zusätzlich finanziell unterstützten, würde sie knapp über die R unden kommen.
    »Hm«, gab Annie von sich.
    Die Umzugsfirma würde sie von ihrer Steuerrückzahlung bestreiten. So ein Jammer, die schöneWohnung ihrer Mutter zu zerpflücken. Annie überlegte, wie viele von Bettys Möbeln wohl in das kleine Haus passen würden.
    »Wir ziehen einfach alle drei nachWestport«, sagte Miranda.
    Die Stühle aus demWohnzimmer würde man wohl dort unterbringen können. Bei derVorstellung dieser Stühle in einer fremden Umgebung packte

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