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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Nachricht, daß das Fräulein das Haus verlassen habe, war eine so glückliche Ablenkung von der höchst peinlichen Schuldfrage, daß er der einzige war, der sich noch später des Fräuleins dankbar erinnerte. Zunächst wollte ihm niemand Glauben schenken, bis Kathi dann schließlich nach oben ging und nach längerem Horchen an der Tür feststellte, daß Fräulein Zögling ihr Zimmer tatsächlich geräumt hatte. Auch die Spiritusflasche war leer. Die beiden Koffer, mit denen sie eingezogen war, standen neben der Tür, und obwohl das Fräulein das Haus >Gode Wind< ohne Trophäen aus Metall oder Porzellan verließ, hatte sich ihr Gepäck doch um zwei Pappkartons vermehrt, die wohlverschnürt auf den Koffern lagen. Auf der Biedermeier-Kommode, dort, wo sonst das Abschiedsgeschenk des Grafen Idell-Idell gestanden hatte, entdeckte Kathi einen an Hellwang gerichteten Brief. Sie trug ihn sogleich zu Hellwang hinüber. Er enthielt in des Fräuleins schöner Handschrift die kurze Mitteilung, daß ihr Gepäck und das ausstehende Monatsgehalt noch heute im Laufe des Nachmittags von einem Beauftragten abgeholt würden.
    Tatsächlich erschien denn auch gegen fünf Uhr ein Münchener Dienstmann und wies sich durch ein Handschreiben von Fräulein Zögling, das er aus seiner roten Mütze mit der Nummer 17 hervorholte, als ihr Abgesandter aus. Er schien die Dienstfahrt nach Greiffing mit einem kleinen Sommerausflug verbunden zu haben, denn er befand sich offensichtlich in heiter gehobener Stimmung. Um ihn schwebte ein würziger Duft nach frischen Sommerrettichen und dem hellen Edelstoff des Greiffinger Florian-Bräus. Kathi bekam handfeste Komplimente wegen ihrer durchwachsenen Figur< zu hören, die Fräulein Zöglings Gesandten >akkurat an die Bavaria auf der Theresienwies’n< erinnerte, und er wollte sich auch durchaus davon überzeugen, ob >dös ois aa echt< wäre. Auch schien er gar nicht abgeneigt, falls Kathi grad heut Ausgang habe, sie später beim Florians-Bräu zu erwarten. Aber Kathi klopfte ihm barsch auf die neugierigen Finger und warf ihn mitsamt dem Gepäck des Fräuleins aus dem Hause.
    Als Hellwang nach einem Abendspaziergang durch die Lohe im Wirtsgarten vom Florians-Bräu einkehrte, um den in jeder Weise heißen Tag mit einer Maß Märzen zu beschließen, gewahrte er an einem Tisch unfern der Schenke eine rote Scheibe, die mit kleinen Rucken zur Tischplatte niedersank und, wenn sie ihr Ziel fast erreicht hatte, energisch wieder emporschnellte. Es war eine rote Mütze mit der blanken Messingnummer 1 7, und das Gesicht, das für Augenblicke unter dem schwarzen Lackschirm sichtbar wurde, ehe Kinn und Haupt wieder schwer auf die Brust sanken, gehörte zweifellos Fräulein Zöglings Sendboten an. Die Koffer? Es überfiel Hellwang heiß, die Koffer waren nirgends zu entdecken. Mit ein paar schnellen Schritten war Hellwang bei dem Unglücksraben und rüttelte ihn an der Schulter. Der Dienstmann hob den Kopf und blickte aus schwermütigen Augen zu Hellwang auf. In seine abwesenden Züge trat das Widerspiel schwerer Gedankenarbeit, dem aber bald der Ausdruck freudiger Überraschung wich: »Da legst di nieda, der Herr Doktor, ja freili, jetzt kenn ich Eahna...Mein Kompliment, Herr Doktor, a Mordstrumm Madl, was Sie ham...aba scho ganz was Stramms...«
    »Die Koffer, Mann Gottes!« unterbrach ihn Hellwang, »wo haben Sie die Koffer und wo haben Sie den Brief, den ich Ihnen gegeben habe?«
    »Dö Koffa? Ah so, jetzt vasteng i Eahna, dö Koffa — hupp — a guats Bier, das Bier vom Florians-Bräu, da is nix gegen z’sagen — hupp — und z’wegen den Koffan und dem Brief hab ich telifonisch an Kollegn b’stellt. Is scho alls an Ort und Stelle. Bitte koana Anfragen weiter — hupp — ich bin heit briwat.«
    Hellwang konnte beruhigt heimgehen, wenigstens beruhigt, was die Koffer und was die drei Monatsgehälter betraf, die er in den Umschlag getan hatte. Im übrigen stand er nun also wieder auf dem gleichen Punkt wie vor einem halben Jahr, nur daß seine Schwiegermutter fehlte und daß er keinen Menschen hatte, der ihm jetzt einen guten Rat geben oder weiterhelfen konnte. Er erwog den Gedanken, die alte Dame wieder herzubitten und verwarf ihn wieder, als er sich daran erinnerte, daß er erst vor wenigen Tagen einen Brief von ihr erhalten hatte, in dem sie ihm schrieb, daß es ihrem Bendig gar nicht gut ginge und daß ihn noch immer die hartnäckige Bronchitis plage, an der er nun schon seit Monaten herumkurierte.
    Hellwang

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