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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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stand ein paar Sekunden zögernd vor der Gartenpforte, bevor er sie aufdrückte. Die Fenster der Straßenfront des Hauses starrten ihn leer an. Ihn beschlich ein Gefühl der Mutlosigkeit. Er hatte dieses Haus einmal geliebt. Luisa, die Kinder, seine Arbeit und das Haus waren in seiner Vorstellung so etwas wie eine untrennbare Viereinigkeit gewesen, seine heilige Vierfaltigkeit, wie Luisa es im Scherz genannt hatte. In der Nähe und in der Ferne, immer hatten magnetische Ströme seine Gedanken wie die Nadel eines Kompasses auf dieses Stückchen Erde in Greiffing ausgerichtet. Und jetzt war diese Vierfaltigkeit zerbrochen. Zuerst war Luisa von ihm gegangen. Und die Kinder wuchsen in ihr eigenes Leben hinein. Die Anziehungskräfte des Hauses waren von Tag zu Tag schwächer geworden. Manchmal hatte er es schon als Bürde empfunden.
    Fräulein Zögling...Er konnte es nicht abstreiten, mit ihrem Einzug ins Haus waren die schwindenden Kräfte wieder gewachsen. Die Freude an der Arbeit war ihm zurückgekehrt, und das Haus war wieder Mittelpunkt seines Lebens geworden. Ach, es war nicht an dem gewesen, was Kathi in ihrer überhitzten Fantasie geargwöhnt hatte. Nie war ihm auch nur für einen flüchtigen Augenblick der Gedanke gekommen, das blonde Fräulein Zögling könne jemals Luisas Platz einnehmen. Wenn ihn etwas zu ihr hingezogen hatte, so war es nach langer Einsamkeit wirklich nur das arglose Bedürfnis nach menschlicher Gesellschaft gewesen, nach Ansprache und nach einem Echo für seine Gedanken.
    Oft genug waren in diesen vergangenen Monaten Stunden gekommen, in denen er sich nach Zärtlichkeiten gesehnt hatte. Aber nicht nach Fräulein Zöglings Zärtlichkeiten, wahrhaftig nicht! So blind hatte er ein halbes Jahr neben ihr gelebt, daß ihm die ungeheure Veränderung von Fräulein Zögling erst nachträglich in dem Moment zum Bewußtsein gekommen war, als Kathi wie eine Rachegöttin und mit Luisas Panier in der Faust ihm die Augen öffnete und dem armen, erstarrten Fräulein ihre Anklagepunkte entgegenschleuderte: Lippenstift und Nagellack, Hormoncreme und Blondirol, elegante Wäsche und nahtlose Nylons — kurzum, die ganzen Werbungskosten, die die Gute so gänzlich umsonst ausgegeben hatte.
    Nein, es gab dabei nichts zum Lachen! Etwas hatte Kathi mit ihrer Torheit erreicht: Seine Unbefangenheit war gründlich und für alle Zukunft zerstört. Und er ahnte, was ihn erwartete. Denn dieses Fräulein Zögling war wohl nur die erste einer langen Reihe von Zögling-Fräuleins gewesen, die nun folgen würden. Er sah sie im Geist, wie sie aufzogen, bescheiden, schlicht und gleichsam geschlechtslos, mit flachen Schuhen und glatten Scheiteln, mit hochgeschlossenen Blusen und züchtigen Röcken — und er sah auch, wie sie sich in kurzer Zeit veränderten, wie sie sich gleichsam mauserten, wie die Absätze höher und die Beine schlanker wurden, wie ihnen der Busen wuchs, wie sie lächelten und sich verjüngten, wie sie sich in den Hüften bogen und andachtsvoll an seinen Lippen hingen...Er scheuchte die verflossene und die zukünftigen Zöglings fort und trat in das dunkle Haus. Er fröstelte und sehnte sich nach Luisas Wärme.
    Am Anfang hatte er geglaubt, die Zeit werde es ihm leichter machen, Luisas Verlust zu ertragen. Gewiß, es gab Augenblicke, in denen er an Luisa wie an einen fernen Traum dachte, Augenblicke, in denen die Vergangenheit so nebelhaft und weit erschien, daß er sich kaum mehr vorstellen konnte, sie wirklich und wahrhaftig erlebt zu haben. Das waren kurze Momente. Tatsächlich aber hatte die Zeit nichts dazu getan, die Wunde vernarben zu lassen, im Gegenteil, manchmal empfand er den Schmerz um sie jetzt noch tiefer als damals, da er von dem grausamen Schlag wie betäubt gewesen war. Nur der Schmerz hatte sich gewandelt. Er war von der Oberschicht seines Bewußtseins ins Innere gedrungen. Es war nicht mehr die wilde Trauer um den Verlust der Geliebten; er hatte das Gefühl, seit Luisas Tod hätten die Penaten dieses Hauses ihre Gesichter verhüllt und alles Glück wäre daraus gewichen.
    Kathi öffnete die Küchentür, als sie ihn kommen hörte. Ob er noch einen Wunsch habe? Ein Rest von dem Fischsalat, den er doch so gern äße, stände noch im Eisschrank, und es wäre auch noch etwas kaltes Huhn da. Er winkte ab und blieb in der Diele stehen.
    »Ja, Kathi«, sagte er mit einem kleinen, verzagten Seufzer, »das Fräulein Zögling wären wir nun also los...«
    »Wissen S’, Herr Doktor«, gestand Kathi

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