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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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auch war, diese Geschichte war längst zu Ende.
    »Komm schon«, drängte sie.
    »Ich sehe nichts.«
    Sie drehte sich um und richtete den Strahl der Lampe auf meine Füße. Ich trat meine Zigarette auf dem Boden aus und sie kam zu mir, bückte sich und hob den Filter auf. »Müll schmeißt man nicht einfach so auf den Boden«, rügte sie und ich schämte mich. Dann stürmte sie voran in die Dunkelheit und hielt ihre Taschenlampe für mich hinter sich gerichtet.
    »Wie findest du dich hier ohne Licht zurecht?«
    »Ich kann ein kleines bisschen sehen, aber ich bin auch daran gewöhnt. Mittlerweile kenne ich mich ziemlich gut aus.«
    »Wie lange bist du denn schon hier?«
    »Seit ich tot bin.«
    »Wow, dann bist du ja wirklich eine Untote!«
    Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu und grinste.
    Ich sagte nichts und wir gingen weiter.
    »Und, hat dir New York gefallen?«
    Ich lächelte ein bisschen und schmollte zur gleichen Zeit. »Ja, hat es.« Sie drehte sich kurz zu mir um und blendete mich mit dem Lichtstrahl, als sie versuchte, meinen Gesichtsausdruck zu erkennen. »Manchmal war es nicht ganz leicht. Aber es hat mir gefallen.«
    »Hey, tut mir leid, dass alles so schiefgelaufen ist. Du solltest Spaß haben. Es war dein Abenteuer, mein Geschenk für dich. Ich war so stolz, dir mein wunderbares Gotham Town zu zeigen.«
    Einen Moment lang schwirrte mir der Kopf. Dieses Gespräch hatte ich mir schon im Bryant Park eingebildet. Und doch war es ganz anders. Diesmal lag nichts Liebevolles darin. Ich hatte das Gefühl, ihren Wahnsinn sehen zu können. War er schon immer da gewesen? Ich erwiderte nichts und wir gingen schweigend weiter. Wir passierten Kreuzungen und Abzweigungen und bogen mal links, mal rechts ab. Butterfly zögerte nie auch nur eine Sekunde, musste kein einziges Mal überlegen oder sich orientieren.
    »Sind wir in den Katakomben?«
    »Die Leute nennen sie Katakomben, aber diese Tunnel sind hauptsächlich durch den Abbau von Stein entstanden. Daraus haben sie Paris errichtet, bis hier unten alles dermaßen ausgehöhlt war, dass die Welt, die sie an der Oberfläche erschaffen hatten, zurück in den Boden zu versinken begann, aus dem sie entnommen war. Ganze Gebäude und Straßenzüge sind dabei eingestürzt.«
    »Wie groß ist denn dieses Tunnelsystem?«
    »Auf dieser Seite der Seine nicht so besonders.« Tomomi Ishikawa gab immer gern die Reiseleiterin.
    »Also, mir kommt es ziemlich groß vor.«
    »Es sind schon ein paar Kilometer, verteilt auf mehrere Systeme, obwohl viele Tunnel im Laufe der Jahre versiegelt oder aus baulichen Gründen zugeschüttet worden sind. Aber auf der Rive Gauche ist es der Wahnsinn. Da gibt es fast genauso viele Tunnel wie Straßen.«
    Wir kamen an eine Tür und sie holte einen Schlüsselbund und einen Gummiknüppel aus ihrer Tasche. Sie klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne und steckte einen der Schlüssel ins Schloss, dann schlug sie, während sie den Schlüssel drehte, ein paarmal kräftig mit dem Knüppel darauf und die Tür ging auf.
    »Hä? Wie hast du das denn gemacht?« Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gesehen hatte.
    »Ach, das ist nur ein Trick, den ich mal gelernt habe. Die sogenannte Schlagmethode. Ist ziemlich einfach, wenn man den Dreh raus hat – viel leichter als die anderen Knacktechniken und funktioniert so ziemlich bei allen Zylinderschlössern.«
    »Das heißt, du kannst Schlösser öffnen, für die du keinen Schlüssel hast?«
    »Ja.«
    »Wo hast du das denn gelernt?«
    »Im Internet«, erwiderte sie und führte mich dann in einen Tunnel, der mir noch dunkler erschien als all die anderen.
    »Du bringst mich überhaupt nicht hier raus, oder?«
    »Ach, tut mir leid, aber du meintest doch, du hättest Hunger. Und wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. Ich dachte, du hättest vielleicht ein paar Fragen an mich. Und ich dachte, du würdest vielleicht gerne sehen, wo ich jetzt wohne.«
    Irgendetwas stimmte nicht. Ich wollte immer noch einfach nur allein sein. Ich weiß nicht, was ich hier unten zu finden erwartet hatte, aber ganz sicher nicht das hier. Mein Atem ging schneller, wie unter Anstrengung. Ich hatte keine Angst, nicht vor Butterfly, aber ich hatte sie nun mal gebeten, mir den Weg nach draußen zu zeigen, und sie hatte mich hierhergebracht.
    Wir erreichten eine weitere Tür und sie wiederholte ihren Trick mit dem Schlüssel und dem Gummiknüppel. Dahinter lag eine kleine Kammer. »Tja, ist nichts Besonderes, aber

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