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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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umzubringen. Ich habe versucht, auf Abstand zu dir zu gehen, aber du hast es einfach nicht kapiert. Nachdem du meine Aufmerksamkeit einmal hattest, wolltest du sie die ganze Zeit, und wenn ich mal eine Weile untertauchen wollte, hast du sofort nachgehakt und mich angerufen oder mir SMS geschrieben. Nur um zu fragen, ob es mir gut geht. Nur um meine Stimme zu hören oder über irgendetwas zu lachen oder mir von deinem Tag zu erzählen. Es war schrecklich, weil es mir so gefiel, und so bin ich auf die Idee mit der Schatzsuche gekommen. Du solltest meiner Spur in eine Welt aus Hinweisen und Briefen folgen und ich würde mich umbringen. Ich war so aufgeregt und glücklich, zum ersten Mal in meinem Leben. Aber wenn es funktionieren sollte, musste ich es wirklich tun. Ich musste mich wirklich umbringen. Ich musste daran glauben.«
    »Und was ist dann schiefgelaufen? Warum hast du dich nicht umgebracht? Vielleicht wäre dann alles viel einfacher gewesen.«
    »Zwei Sachen …« Sogar auf diese Frage hatte sie eine Antwort. Sie war wieder mal davongekommen. Sie würde sich nicht kleinkriegen lassen. »Erstens war ich einfach nicht rechtzeitig bereit. Ich hatte mir eine Frist gesetzt. Einen Fixpunkt. Einen Tag, an dem ich bereit sein musste – den 15. März.«
    »Warum ausgerechnet dann?«
    »Das ist ein wichtiger Jahrestag.«
    »Wovon?«
    »Vom Tod meines Vaters.«
    »Oh.« Plötzlich hatte ich das Gefühl, auf verbotenes Terrain vorgedrungen zu sein. Ich nickte.
    »Und von Komoris Tod.«
    »Scheiße. Sie sind am selben Tag gestorben?«
    »Mit einem Jahr Abstand.«
    »Warte mal, du kümmerst dich doch sonst nie darum, welcher Tag gerade ist oder wie viel Uhr und solche Sachen. Wenn du deinen Selbstmordtermin nun um einen oder zwei Tage verpasst hättest, wäre das doch bestimmt keine Katastrophe gewesen.« Ich hörte mich an, als wollte ich es ihr zum Vorwurf machen, dass sie sich nicht das Leben genommen hatte. War das wirklich mein Ernst?
    »Ich war nicht mal annähernd bereit. Das war mir schon Wochen vorher klar. Und dann habe ich die Tür gefunden.«
    »Welche Tür?«
    »Den Eingang zu den Katakomben.«
    »Den neben der Pflanze in der Metro?«
    »Nein. Auf den bin ich erst später gestoßen, auf einem meiner Erkundungsgänge. Der andere befand sich im Keller meines Hauses.«
    »Was?«
    »Ich war dabei, meinen Kram rauszuschaffen (zu jeder Wohnung in meinem Haus gehört ein Kellerverschlag, so groß wie ein Kleiderschrank, mit einer Tür und einem Vorhängeschloss), und dabei fiel mir auf, dass eine der Türen anders aussah als die übrigen. Sie war stahlverstärkt und mit zwei zusätzlichen Schlössern gesichert. Während ich mit meinem Zeug beschäftigt war, kam einer meiner Nachbarn vorbei, und als ich mich erkundigte, wessen Tür das sei, meinte er, sie führe in die Katakomben. Ich habe ihn gefragt, wer denn den Schlüssel dazu habe, aber das wusste er nicht.«
    »Und wie bist du dann reingekommen?«
    »Ich habe mich im Internet informiert. Und das erste Mal habe ich vier Stunden gebraucht, um die Tür aufzubekommen. Heute brauche ich mit einem Schlagschlüssel gerade mal fünf oder sechs Sekunden für jede beliebige Tür.«
    »Und wo bekommst du diese Schlagschlüssel her?«
    »Ich kenne einen netten Mann, der bei einem Schlüsseldienst arbeitet. Rue Ménilmontant.«
    »Na klar«, erwiderte ich sarkastisch.
    »Hier runterzukommen hat mir das Leben gerettet.«
    »Wieso?«
    »Na ja, zuerst war es einfach nur aufregend. Ich dachte, ich würde vielleicht diesen Eliteklub von militanten Uhrenreparateuren finden (und ich habe tatsächlich ein paar Leute dieser Art getroffen), aber eigentlich war die Zeit, die ich allein verbracht habe, die beste. Irgendetwas daran, so weit weg von allem unter der Erde zu sein, hat mir gefallen, es war so ein Gefühl, als wäre ich dick eingepackt und sicher verstaut, als gäbe es plötzlich eine Welt, in der es mir gut ging und in der ich lebendig sein konnte und nicht sterben musste. Sobald ich an die Oberfläche kam, wollte ich mich sofort wieder umbringen; also kehrte ich hierher zurück und alles war wieder gut. Und von da an wusste ich, was ich tun musste. Ich habe diese Räume hier hinter verschlossenen Türen gefunden, durch die seit Generationen niemand mehr gegangen ist, und entschieden, dass dies ein vorübergehender Ersatz für meinen Tod ist. Ich hatte nichts zu verlieren. Wenn es wieder schlimmer geworden wäre, hätte ich mich ja immer noch umbringen können, aber fürs

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