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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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das hier ist mein Zuhause«, sagte sie und knipste die Taschenlampe aus. Ich sah nichts mehr.

25½

    B EI W ASSER UND Z IGARETTEN
    Sie entzündete ein Streichholz (das Geräusch ließ mich zusammenzucken) und steckte Kerzen an. An einer Wand stand ein Tisch mit zwei Stühlen. Davon abgesehen war der Raum leer, nur zwei Durchgänge führten weiter in die Dunkelheit. Alle Farben schienen aus Schwarz- oder Orangetöne zu bestehen und in der Luft lag der Geruch nach Kerzenwachs und Stein. Über die Wände tanzten winterlich lange Schatten in winzigen zuckenden Bewegungen; Butterflys Fußknöchel unter ihrer flaumigen Haut wirkten so zart, als könnten sie jeden Moment zerbrechen.
    Das Herz hämmerte mir in der Brust und die Härchen an meinen Armen stellten sich auf. »Was ist das für ein Ort?«
    »Ich weiß nicht genau. Als ich das erste Mal hergekommen bin, lagen hier alle möglichen Sachen rum, wahrscheinlich noch aus dem Krieg. Ich könnte mir vorstellen, dass sich hier unten ein paar Leute vor den Nazis versteckt haben.«
    »Ich dachte, die Nazis hätten sich selbst hier verschanzt.«
    »Die hatten einen Bunker; aber der ist meilenweit weg. Und darauf haben sie sich auch so ziemlich beschränkt. Widerstandskämpfer haben die Katakomben ebenfalls genutzt, genauso wie alle möglichen anderen Leute. Hier unten konnten sie keinen Krieg führen. Das wäre zu kompliziert gewesen. Willst du Wasser?«, rief sie und verschwand in einem der dunklen Durchgänge.
    »Ja, bitte«, sagte ich, mehr aus Reflex als aus wirklichem Durst.
    »Ich fürchte, zu essen gibt es nicht viel. Möchtest du einen Joghurt?«
    Ich hörte Wasser plätschern, nicht aus einem Wasserhahn, sondern aus einem Krug. Wie konnte sie in der Finsternis bloß etwas sehen?
    »Ja. Joghurt ist gut.«
    Sie stellte zwei Gläser auf den Tisch und kam einen Moment später mit zwei Joghurtbechern und Teelöffeln zurück. »Hier.« Sie setzte sich auf einen der Stühle und ich nahm den anderen.
    »Butterfly?«, fragte ich in einem eher untypischen Ich-komme-dann-mal-direkt-zum-Punkt-Ton (wir waren nie direkt zum Punkt gekommen).
    »Ben Constable?«
    »Was genau läuft hier eigentlich?«
    »Was meinst du?«
    »Ich meine, erst schreibst du, du seist tot, und ich sehe dich sieben Monate lang nicht. Du hinterlässt mir eine Spur von Hinweisen, die mich zu Geschichten über alle möglichen Morde führen, die du angeblich begangen hast, und dann schickst du mich ans andere Ende der Welt, wo du zu meiner Unterhaltung eine total irre Schnitzeljagd vorbereitet hast, und jetzt darf ich feststellen, dass du hier unten wie eine Einsiedler-Balletttänzerin auf der Flucht von Wasser und Joghurt lebst. Du bist absurder als jeder Roman und so verrückt, wie ich dich noch nie erlebt habe. Ich verstehe einfach nicht, warum du das alles gemacht hast.«
    »Oh Gott. Warum ist kompliziert. Du hast nie nach dem Warum gefragt, das mochte ich immer so an dir. Wir haben so viele Abende zusammen getrunken und geredet, aber du wolltest nie Gründe für irgendwas hören.«
    »Nein?«
    »Das ist eine ziemlich seltene und liebenswerte Eigenschaft.«
    »Ich bin hier, weil ich dachte, ich müsste dich retten oder so«, sagte ich plötzlich. Ich hatte das Gefühl, mich erklären zu müssen.
    »Das ist das Netteste, was jemals irgendwer für mich getan hat. Ich weiß nicht, ob ich dir begreiflich machen kann, warum ich was gemacht habe. Selbst wenn ich dir alles erzählen würde, was ich weiß, glaube ich kaum, dass die Teile zusammenpassen oder einen Sinn ergeben würden.«
    »Wie wär’s, wenn du mir wenigstens sagen würdest, warum du mir geschrieben hast, du hättest dich umgebracht?«
    Sie blickte zu Boden und ich hörte ihren Atem.
    »Okay. Ich werd’s versuchen.« Sie zog den Deckel von ihrem Joghurtbecher und ich folgte ihrem Beispiel.
    »Ich wollte mich wirklich umbringen. Ich hatte es schon seit einer ganzen Weile vor und fing langsam an, die Details zu planen; nach und nach ergab sich alles …«
    »Also hattest du gar keine tödliche Krankheit oder so was?«
    »Ich war depressiv; Depressionen sind eine Krankheit, und wenn sie dich dazu bringen, dir das Leben zu nehmen, dann sind sie auch tödlich.«
    »Okay, das sehe ich ein, aber das, was du geschrieben hast, war irreführend. In deinem Brief hat es sich so angehört, als hättest du Krebs im Endstadium oder so.«
    »Ja, ich weiß. Ich dachte, das würde es vielleicht ein bisschen leichter machen.«
    Ich hatte meinen Joghurt schon

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