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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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bald mal aufs Klo – okay, das kann vielleicht noch ein Weilchen warten, aber auch nicht ewig, und ich glaube nicht, dass du mich hier sterben lassen willst. Komm doch noch mal vorbei, dann können wir ein bisschen plaudern. Tut mir leid, dass ich so anstrengend war und du über Sachen reden musstest, über die du nicht reden wolltest. Wir können auch über etwas anderes reden, wenn dir das lieber ist.«
    Eintausendeins, eintausendzwei, eintausenddrei, eintausendvier … Ich brauchte irgendeine Strategie, um nicht durchzudrehen, denn ich hatte das Gefühl, dass das nicht mehr lange dauern würde. Ich war seit einer halben Stunde allein und traute meinem Gehirn nicht mehr. Ich legte mich hin und verbot mir weiterzuzählen.
    Dann hörte ich das Knallen der Tür, durch die wir gekommen waren. Das Geräusch drang durch die steinernen Wände und durch die Dunkelheit zu mir herüber. Tomomi Ishikawa war gegangen.
    Bei viertausendsechshundertzweiundzwanzig hörte ich, wie sie mit ihrem Gummiknüppel das Schloss bearbeitete. Schwerfällig stapfte sie herein, anscheinend trug sie irgendetwas. Ich wartete. Sie lief eine Weile hin und her. Und dann sprach sie mit mir, nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern rief mir von irgendwo nebenan etwas zu.
    »Ich musste kurz weg und ein paar Sachen holen. Ich war nicht auf Besuch eingestellt.«
    Ich reagierte nicht und sie wuselte weiter herum. Dann, ein paar Minuten später, drang der Strahl einer Taschenlampe durch das Gittertor und erleuchtete meine Zelle.
    »Ben?«
    »Ja«, flüsterte ich.
    »Hör zu, dir wird das jetzt nicht gefallen, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst machen soll.«
    »Was?«
    »Komm einfach mal zum Tor, dann siehst du es. Ich habe eine Waffe.«
    Ich wandte mein Gesicht zum Gitter und dort stand sie, lächelnd, und winkte mir mit einer Pistole zu. Wie zum Teufel war sie an eine Pistole gekommen?
    »Und jetzt musst du bitte mal vom Tor weggehen und dich da drüben hinstellen, Gesicht zur Wand und die Hände nach oben.«
    »Meine Güte, Butterfly!«
    »Ich muss das Tor aufmachen und du bist nun mal größer und stärker als ich. Ich will nicht, dass du mich überwältigst, aber ich will dich auch nicht erschießen, also mach bitte einfach, was ich dir sage. Okay?«
    Ich ging in die Ecke und hob die Hände. Ich hörte einen Schlüssel und ihren Gummiknüppel, bevor das Schloss sich klickend öffnete. Sie schob etwas in den Raum. Dann ging das Tor wieder zu und das Schloss klickte abermals.
    »Okay, du darfst dich wieder bewegen.«
    Auf dem Boden neben dem Gitter stand ein Eimer mit Deckel, in dem ich eine Rolle Toilettenpapier, eine Decke und meine Tasche fand.
    Tomomi Ishikawa trat vom Tor zurück und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand. »Deine Zigaretten sind in der Tasche«, sagte sie.
    Ich weiß nicht, woher man in solchen Momenten die Ruhe nimmt (nicht dass ich häufiger in derartige Situation geraten würde), doch mit dem Zustand absoluter Machtlosigkeit scheint eine Art Resignation einherzugehen, die einen einfach alles hinnehmen lässt, sobald man sich einmal mit dem Gedanken angefreundet hat, dass man ohnehin nichts ändern kann. Es war schön, Licht zu haben, und es war schön, dass Butterfly hier war.
    »Dir ist schon klar, dass du anscheinend gerade verrückt wirst, Butterfly?«, bemerkte ich. »Du kannst nicht einfach Leute einsperren. Das ist ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass du einen ernsthaften Schaden hast.«
    »Ich versuche, Zeit zu schinden. Ich muss mir überlegen, wie ich uns beide hier rausbringe.«
    »Ich wüsste da was. Du nimmst die Kanone runter, schließt das Tor auf und wir spazieren beide raus in den Sonnenschein, suchen uns ein nettes Café mit Terrasse und trinken was. Und tun so, als wäre das alles hier nie passiert. Dann ist es nur noch eine Geschichte, genau wie die anderen, die du geschrieben hast, mit der Ausnahme, dass in dieser hier niemand zu Tode kommt.«
    »Du glaubst wirklich, dass man mit ein bisschen Reden für alles eine Lösung findet, was? Dass das Ganze sich schon irgendwie fügen wird, und dann lachen wir ein bisschen und alles ist wieder gut.«
    »Ich würde einfach gern verstehen, was hier verdammt noch mal eigentlich los ist, aber ich habe schon seit einer ganzen Weile die Befürchtung, dass nichts, was du sagst, mich zufriedenstellen kann. Und wenn ich so darüber nachdenke, finde ich, dass wir auch gar nicht alles verstehen müssen, um weiterzuleben. Wir können sein, was wir wollen. Wir

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