Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
denn das passiert, in den Sechzigern oder so?«
»Nein, erst vor Kurzem, letzte Woche oder so. Ich hab’s in der Zeitung gelesen.«
»Was, sogar den Teil mit dem 1976er Rothschild?«
»Quatsch, den habe ich dazuerfunden, um die passende Atmosphäre zu schaffen. Aber schon alleine daraus hättest du schließen können, dass das Ganze nicht in den Sechzigern passiert sein kann.«
»Und wieso erzählst du mir das?«
»Ich erzähle dir das, weil diese Leute cool sind und wir auch so einem Geheimklub angehören sollten. Wir müssten mal einen Ausflug in die Katakomben machen und herausfinden, wo sie sich treffen.«
»Die würden uns doch gar nicht dabeihaben wollen. Wir sind keine Intellektuellen.«
»Du vielleicht nicht.«
»Okay, dann bin eben ich kein Intellektueller.«
»Vielleicht können wir denen ja was bieten, was ihnen bisher gefehlt hat?«
»Was denn zum Beispiel?«
»Spaß?«
»Ich glaube nicht, dass die sich für Spaß interessieren, außerdem ist mir heute nicht besonders spaßig zumute.«
»Mann, Ben Constable, das ist doch geradezu perfekt! Sie wollen keinen Spaß und du auch nicht. Ich bin mir ganz sicher, dass sie uns aufnehmen werden.«
Der Mann, den Tomomi Ishikawa liebevoll »Kellner« nannte, kam an meinen Tisch. Seine Haare waren länger geworden, seit ich das letzte Mal hier gewesen war, darum war ich mir nicht ganz sicher, ob er es überhaupt war, bevor er mich auf Englisch ansprach (darin schien er sich gern zu üben).
»Entschuldigung?«, sagte Kellner.
»Hi«, erwiderte ich und lächelte.
»Eine Dame an die Theke bitten mich, Ihnen zu bringen das hier.« Er stellte ein Glas Rotwein vor mich auf den Tisch und legte einen gefalteten Notizzettel daneben.
Ich blickte zur Bar hinüber. Dort standen eine ganze Menge Leute, von denen ich niemanden erkannte (aber das hatte bei mir ja nichts zu bedeuten).
»Welche Dame denn?«
»Die Américaine . Manchmal Sie kommen hierher mit ihr.«
»Wo ist sie denn?«
»Es ist lange her. Ich konnte nicht finden die Fisch, aber sie wollte eine Glas Wein für Sie und ich Ihnen geben die Fisch, wenn Sie kommen.«
»Was denn für einen Fisch?«
»Die Fisch. Cette fiche. « Kellner deutete auf den gefalteten Notizzettel. »Ich habe wiedergefunden.«
»Ach«, sagte ich, »Sie meinen den Zettel. Zettel .«
»Sett-öl.«
»Sie können auch einfach Blatt Papier sagen.«
»Okay.«
»Wann war sie denn hier?«
»Es ist lange her. Im Winter. Danach ich habe sie nicht mehr gesehen.«
»Okay. Vielen Dank. Merci.«
»Il n’y a pas de quoi«, erwiderte er und ging zu einem anderen Tisch, um die leeren Gläser abzuräumen.
Ich faltete den Zettel auseinander.
Ich habe etwas für dich, BC. Geh zu unserem Geheimplatz.
B. X O X
Ich schlürfte den Wein und starrte aus dem Fenster, meine Stimmung schwankte zwischen niedergeschlagen, aufgeregt und sauer. Vielleicht sollte ich Butterflys Hinweisen nicht mehr folgen. Schließlich konnte mich niemand zwingen, bei etwas mitzumachen, wodurch ich mich schlecht fühlte. Warum hörte ich nicht einfach auf? Ich kippte den Rest des Weins hinunter und ging an die Theke, um zu bezahlen; als Kellner an mir vorbeiging, bedankte ich mich noch einmal und verließ die Bar.
Ich stapfte die Rue Ménilmontant hinauf, doch als die Straße steiler wurde, versteiften sich meine Beine. Jemand war hinter mir, aber ich ging trotzdem weiter und tat so, als könnte ich den brennenden Blick in meinem Rücken nicht spüren. Ich bog in die kleine Kopfsteinpflasterstraße in der Cité de l’Ermitage ein und die Schritte folgten mir. Ich wandte mich nach links und setzte mich auf einen der Betonpoller. Ein Mann kam um die Ecke, erkannte, dass die Straße eine Sackgasse war, und blieb wie angewurzelt stehen. Als er mich sah, zuckte er zusammen und eilte hastig davon. Nach einer Weile warf ich einen Blick die Straße hinunter, um mich zu vergewissern, dass er wirklich weg war, und zündete mir eine Zigarette an. Ich wünschte, es würde wieder anfangen zu regnen, doch es blieb trocken. Mittlerweile war es dunkel, aber noch nicht spät genug. Nicht zwanzig nach drei. Hierher war ich früher manchmal mit Butterfly gekommen, um zu rauchen; sie liebte diese Straße. Am liebsten hätte sie sich dort ein Häuschen mit Garten gekauft. Ich lehnte mich zurück und starrte im schummrigen Licht auf das Unkraut in den Rillen des Kopfsteinpflasters.
»Was meinst du, Cat?« Cat tauchte auf, sah sich kurz um und ließ sich ein paar Meter von mir
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