Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
auf. Hallo, Cat, dachte ich. Er starrte in den Tunnel. Und dann, ohne sich auch nur noch einmal nach mir umzusehen, marschierte er unter dem gelben Schild hindurch, das ihn vor Lebensgefahr warnte, und lief die Stufen hinunter in die Dunkelheit. »Scheiße, was machst du denn da, Cat?«, zischte ich, aber wahrscheinlich verstand er noch nicht einmal meine Frage.
Er trottete ein paar Meter weit und schnüffelte wie ein professioneller Spürhund auf dem Boden herum.
Cat, tu doch nicht so, als hättest du irgendeinen Plan. Den hast du nämlich nicht.
Er machte noch ein paar Schritte und wartete erneut, bevor er schließlich seelenruhig in Richtung der Pflanze davonlief, die sich ein ganzes Stück weiter in der Dunkelheit befand.
Cat, komm zurück! Lass mich nicht allein hier.
Nach einer Minute kam eine weitere Bahn. Ich blickte betont gleichgültig an die Decke, bis sie weiterfuhr. Dann starrte ich wieder in den Tunnel und beobachtete, wie sich die Rücklichter der Bahn entfernten.
Hoffentlich geht es Cat gut (blödes Vieh).
Ein paar Leute kamen aus dem Lift und ich versuchte abermals, unschuldig auszusehen.
Als der nächste Zug einfuhr, trat ich vom Bahnsteigrand zurück und ließ mich an der Wand hinuntergleiten, bis ich in der Hocke saß und auf den Boden starrte. Leute gingen an mir vorbei und zwei weitere Bahnen fuhren ein.
Was ist, wenn Cat nicht zurückkommt? Muss man sich um imaginäre Katzen Sorgen machen oder kann man sich darauf verlassen, dass sie schon von allein nach Hause zurückfinden? Ich glaube, ich kenne die Antwort auf diese Frage.
Da steckte er plötzlich den Kopf um die Ecke und sah mich an. »Was denn?« Er sah mich einfach an und wartete, dann warf er einen Blick zurück in den Tunnel und drehte sich wieder zu mir um. »Ich gehe da nicht rein, Cat. Dann werde ich nur erwischt oder es gibt einen schrecklichen Unfall oder was weiß ich.« Er starrte mich noch eine Weile an, dann setzte er sich hin und leckte sich eine seiner Pfoten. »Vergiss es, Cat. Ich kann das nicht.«
Eine Frau in dunkelgrüner Uniform stieg aus dem Lift und kam direkt auf mich zu. »Monsieur?« Sie erkundigte sich, ob mit mir alles in Ordnung sei, und ich war schon kurz davor, einfach zu antworten, mir sei ein bisschen schwindelig geworden, aber es gehe schon wieder. Andererseits wollte ich nicht, dass sie sich weiter um mich kümmerte oder sich verpflichtet fühlte, mir zu helfen, also erklärte ich, dass ich auf jemanden wartete. Sie schenkte mir einen gelangweilten Blick und forderte mich auf, das dann doch bitte auf einem der dafür vorgesehenen Sitze zu tun. Als ich aufstand, war sie schon wieder auf dem Weg zum Aufzug. Wahrscheinlich hatte ich auf irgendeiner Überwachungskamera verdächtig gewirkt und sie war vorbeigekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Im selben Moment, als sie sich noch einmal zu mir umdrehte, um sich zu vergewissern, dass ich zu den Sitzen ging, drehte ich mich noch einmal zu ihr um, um mich zu vergewissern, dass sie mich nicht mehr beobachtete, was ziemlich peinlich war. Schnell ließ ich mich auf einen der weißen Formschalensitze fallen und Cat kam gemütlich zu mir gezockelt.
»Ich kann das nicht, Cat. Ich habe schon Ärger bekommen, nur weil ich auf dem Boden gehockt habe, dabei hockt doch wohl jeder mal in einer Metrostation auf dem Boden, verdammt. Manche Bettler sitzen den ganzen Tag hier rum, aber kaum mache ich das, kommt sofort jemand in Uniform angerannt und verbietet es mir. Überleg nur, was passieren würde, wenn ich einfach auf die Gleise marschieren würde. Ich tue mich nun mal ein bisschen schwer im Umgang mit Autoritätspersonen, Cat, und ich gerate leicht in Schwierigkeiten. Außerdem bin ich ein Feigling. Ich kann das nicht.«
Cat stand auf und stolzierte davon und ich wartete eine Minute ab, um sicherzugehen, dass ich ihn nicht einholen würde, dann nahm ich den Aufzug nach oben und trat in die Nacht hinaus.
9
A UFBEGEHREN
Von Buttes-Chaumont aus trottete ich gedankenverloren nach Belleville, ein Stück an der Rue des Pyrénées entlang, und nahm dann ein paar schmale Gassen und Treppen hinunter nach Ménilmontant. Vereinzelte, dicke Regentropfen klatschten mir auf den Kopf. Ich änderte meinen Kurs und flüchtete mich in eine Bar, in der ich mich oft mit Tomomi Ishikawa getroffen hatte. Fast rechnete ich damit, sie dort sitzen zu sehen, allein und Geschichten, für die sie keinerlei Erklärung lieferte, in ihr Notizbuch kritzelnd. Natürlich war sie nicht da.
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