Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
entfernt nieder. »Wo würdest du hier etwas verstecken?« Ich stand auf und blickte mich um. Es gab keine Steine oder Fußmatten, unter denen ich hätte nachsehen können, und auch keine Erde, in der etwas vergraben sein konnte. Ich fuhr mit der Hand über die Rückseite der Betonpoller, die Tomomi Ishikawa und ich immer als Sitze benutzt hatten, und ertastete an dem kleineren der beiden eine vertraute Struktur. Wie erwartet befand sich dort eine dicke Schicht sorgfältig angebrachten Klebebands. Ich versuchte, es abzuknibbeln, aber es war noch zusätzlich mit irgendetwas anderem festgepappt (wahrscheinlich hatte das Klebeband allein nicht gehalten). Ich wühlte in meiner Tasche nach irgendetwas zum Kratzen, doch alles, was ich fand, war mal wieder Butterflys Edelstahl-Kuli. Ich stach ihn durch das Klebeband und riss die verschließbare Plastiktüte auf, in der sich ein brauner Umschlag befand. Auf der Vorderseite stand mein Name.
Ich war stinksauer. Was für ein blödes Versteck für eine geheime Nachricht. Jeder hätte sie finden können, außerdem war es ein totaler Zufall gewesen, dass ich in die Bar gegangen war und Kellner gerade seinen »Fisch« wiedergefunden hatte.
Cat sah zu mir hoch und hob eine Augenbraue, aber ich glaube nicht, dass das etwas zu bedeuten hatte.
»Na, komm«, sagte ich. »Wenn wir uns beeilen, erwischen wir noch die letzte Metro.«
Wenn du Ben Constable bist und das hier liest, dann bist du wirklich ein verdammt guter Schatzjäger. Chapeau, Sir.
Der nächste Schatz ist aus echtem Gold. Mein Paris hat sich hin und wieder mit dem deinen überlappt; möglicherweise sind wir an manche Orte aus unterschiedlichen Richtungen und mit unterschiedlichen Ansichten gelangt. Dieser Schatz ist ein Tropfen Geschichte, über deren genauen Verlauf wir verschiedener Meinung waren. Weißt du, wovon ich rede?
Die verborgenen Schätze in diesem Teil der Suche bauen aufeinander auf, und wenn du ihnen folgst, tragen sie dich an einen fernen Ort, ans andere Ende meiner Welt, das wir gemeinsam erkunden können, während ich mich an deinen Schatzsucherkünsten erfreue. Ich stelle mir gern vor, wie du grübelst und nach Hinweisen forschst, die dich zu mannigfaltigen Belohnungen führen werden. Ein paar der Belohnungen haben eher mit mir zu tun als mit dir, aber ich hoffe, BC, dass auch etwas darunter ist, woran du Spaß hast. Und wenn du keinen Spaß hast (was durchaus auch der Fall sein könnte), dann findest du vielleicht wenigstens etwas, das dich zum Schreiben inspiriert, zu ein paar Notizen oder auch zu einem ganzen Buch. (Nicht dass ich glaube, du hättest Inspiration nötig – aber ich vermisse dich und ich will etwas von mir hier auf diesem Papier zurücklassen. Kannst du mir verzeihen, Ben Constable? Ich verlasse mich nicht darauf, aber ich hoffe dennoch, dass dich irgendetwas von alldem zum Lächeln bringen wird.)
In Liebe,
Butterfly X O X
Cat stand auf und lief ans andere Ende des Raums. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Dann griff ich zu meinem Notizbuch und einem schwarzen Kugelschreiber.
Liebe Tomomi Ishikawa,
das hier ist kein Spaß. Du bist einfach verschwunden, ohne Erklärung, und hast nichts als vage und verwirrende Spuren hinterlassen, die zu blutigen, ungeheuerlichen Geschichten führen. Soll ich mich darüber vielleicht freuen? Soll ich vor kranker Faszination über deine morbiden Abenteuer lachen? Warum hast du mir nicht etwas Fröhlicheres hinterlassen? Warum konntest du dir nicht denken, wie verstörend das Ganze auf mich wirken würde? Warum konntest du dich nicht ein bisschen besser in mich hineinversetzen? Ich nehme an, du warst krank und lagst im Sterben und konntest nicht klar denken. Wenn ich deinen Tod für dich hätte planen dürfen, dann hätte ich einiges anders gemacht. Ich glaube, ich hätte alles getan, damit du in deinen letzten Wochen glücklich gewesen wärst und dich wohlgefühlt hättest. Ich glaube, ich wäre gern bei dir gewesen, als du gestorben bist, ich glaube, darin wäre ich gut gewesen. Und wenn du dann tot gewesen wärst, hätte ich gern Gelegenheit gehabt, dich loszulassen, damit du zu einer Erinnerung werden kannst. Vielleicht hätte ich irgendetwas behalten, etwas, das dir gehört hat, als Andenken an dich, irgendeine Kleinigkeit, mehr nicht. Ich will nicht der Erbe deines wirren Geschreibsels sein, nur weil du zu eitel warst, es wegzuwerfen. Für mich ist es jetzt zu wertvoll, als dass ich es hergeben würde, verdammt.
Ich bin echt sauer auf
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