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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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Grünflächen orientieren, die genauso viel Einfluss auf mein Leben hatten wie das Urbane. Aber du bist mir voraus, du hast den Park schon gesehen und den Hinweis nebst dazugehörigem Schatz gefunden, darum werde ich mich damit nicht weiter aufhalten. Obwohl ich mir die Freiheit nehmen möchte, dich nachträglich auf die Statue von Gertrude Stein hinzuweisen. Hast du sie dort auf der Terrasse sitzen sehen? In den Zwanzigerjahren versammelte sich in ihrem Salon jeden Samstagabend die intellektuelle Elite der Pariser Rive Gauche.
    Von allen New Yorker Parks erinnert der Bryant Park mit seinen grünen Blechtischen und gepflegten Alleen am stärksten an einen Pariser Jardin . Oh, und erst das Karussell und der märchenhafte Blick auf die Bibliothek und die ringsum aufragenden, bei Nacht hell erleuchteten Wolkenkratzer. An dem Brunnen dort habe ich meine Jugend verbracht, wie oft wäre ich am liebsten hineingeklettert, um mich mit ausgebreiteten Armen im Kreis zu drehen, den wie tausend Juwelen glitzernden Sprühnebel auf mich herabsinken zu lassen und im Wasser zu planschen wie eine Najade; die Leichtigkeit, die ich dabei verspürt hätte, ist mit Worten nicht zu beschreiben, aber ich habe es nie getan …
    Plötzlich spüre ich die Realität auf meiner Haut und die Uhr an der Wand zeigt zwanzig nach drei. Mir läuft die Zeit weg. Ich wollte dir eigentlich noch mehr Hinweise zu weiteren Schätzen geben, aber die werden nun wohl warten müssen.
    All das hier soll dich wissen lassen, dass ich in meiner finsteren Ruhestätte an dich denke. Du bist wie ein winziger Strahl staubigen Lichts, der durch einen Spalt in meiner hölzernen Kapsel dringt, der mir Atem spendet und mich von einem anderen Leben träumen lässt.
    Und wieder, mein lieber Ben Constable, übergebe ich dich in die fähigen Hände des Schicksals und wie jedes Mal, wenn ich dieser Tage einen Brief an dich vollende, vergieße ich dabei eine Träne, weil es so endgültig scheint. Doch auf dich wartet noch mehr; mehr Briefe, mehr Hinweise, mehr Schätze, und ich fürchte, noch weitere düstere Auszüge aus meinen Tagebüchern, Zeugnisse meines jämmerlichen Lebens, die du vielleicht eines Tages zu einem Buch machen oder vernichten und für immer los sein wirst.
    Alles Liebe,
B. X O X
    »Also, was für eine skrupellose Mörderin sie auch sein mag, ihre Briefe an dich sind wirklich süß«, meinte Beatrice.
    »Sie sind furchtbar traurig.«
    »Sie muss dich sehr gemocht haben.«
    »Meinst du?«
    »Definitiv.«
    »Jedes Wort, das sie schreibt, verschlägt mir den Atem. Ich habe das Gefühl, langsam brauche ich ein Sauerstoffgerät, wenn ich einen Brief oder eine E-Mail von ihr öffne. Ich verstehe das alles nicht.«
    »Vielleicht war sie ja verliebt in dich.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen. Obwohl ich schon glaube, dass sie mich geliebt hat. Aber so langsam mache ich mir echt Sorgen, dass sie verrückt war.«
    »Ich weiß nicht. Die Schatzsuche, die Hinweise, die Briefe. Verliebtsein ist manchmal ziemlich nah dran am Verrücktsein.«
    »Nein, ich meine, gefährlich verrückt. Eine Psychopathin. Eine Serienkillerin.«
    »Wer weiß?« Sie strich mit der Hand über den oberen Rand der Seiten vor ihr. »Natürlich – es ist eine Adresse!«
    »Wie bitte?«
    »Das hier ist eine Adresse, kein Mensch: [email protected]
    »Sicher, aber die meisten Leute nehmen nun mal ihren Namen, wenn sie sich eine E-Mail-Adresse einrichten. Und die hier ist von einer Person namens Charles Streetny, oder Streetny ist ein Spitzname oder so.«
    »Es heißt Charles Street Nummer 15 in New York. Das ist eine Adresse und die ist gerade mal zwei Blocks von dort entfernt, wo du jetzt sitzt«, beharrte sie und warf mir einen unnachgiebigen Blick zu, so als müsste ich dieser unangenehmen Realität nun leider ins Auge blicken.
    Erstaunt starrte ich sie an. »Ich habe das Gefühl, jede Sekunde, die ich mit dir zusammen bin, wird es nur noch komplizierter.«
    »Es ist nur zwei Blocks von hier. Siehst du die Kreuzung da vorne (nicht die da, die nächste)? Da ist es.«
    »Scheiße. Und die Identität von Charles Streetny war noch nicht mal das, was mich an der Mail am meisten gestört hat.«
    »Wieso? Was hat dich denn am meisten gestört?«
    »Woher weiß er, dass ich in New York bin?«
    »Wem hast du denn erzählt, dass du hier bist?«
    »Keinem.«
    »Gar keinem?«
    »Nein«, bestätigte ich.
    »Du hast also niemanden angerufen oder irgendwem eine Postkarte oder E-Mail

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