Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
ein. Dann wählte sie ein Ergebnis ziemlich weit unten in der Trefferliste aus, fügte die Adresse in ein Feld ein und klickte auf den Suchen-Button daneben. Eine Weltkarte erschien, mit einem Pfeil, der auf New York deutete. »Bitte sehr«, verkündete sie. »Die Mail wurde von hier verschickt.«
»Was, von diesem Internetcafé aus?«
»Nein, aber von New York aus. Von wo genau, kann man nicht sehen.«
»Lass mich auch mal versuchen«, sagte ich und griff nach der Maus. Ich klickte auf die erste Mail von Streetny und Beatrice sah zu, während ich genau das wiederholte, was sie zuvor gemacht hatte.
Ich kopierte die neue IP-Adresse auf die Suchseite, und als sich diesmal die Weltkarte öffnete, zeigte der Pfeil auf Paris.
»Was hat das denn jetzt zu bedeuten?«, fragte ich.
»Dass, wer auch immer Charles Streetny sein mag, gestern noch in Paris war und heute in New York ist.«
»Das ist ja, als würde mich jemand verfolgen.« Die Worte hinterließen einen schlechten Geschmack auf meiner Zunge.
Wir gingen in ein vietnamesisches Restaurant, das, wie Beatrice fand, nett aussah, und bestellten Bier. Ich trank meins fast in einem Zug aus und orderte ein neues. Beatrice war schweigsam, rührte ihr Bier nicht an und schob ihr Essen auf dem Teller hin und her.
»Du bist echt komisch seit ein paar Stunden«, sagte ich, weil es stimmte.
»Ich bin bloß müde. Mein Kater hat mich heute Morgen viel zu früh geweckt. Er stand plötzlich auf meinem Bauch und hat mir die Nase geleckt. Ich bin aufgestanden und habe ihm etwas zu fressen gegeben, aber danach konnte ich nicht mehr einschlafen.«
»Das macht meiner auch manchmal.«
»Du hast auch einen Kater?«
»Ja. Aber er tut so was nicht, weil er gefüttert werden will. Er will mich bloß nerven, damit ich Sachen mache, für die ich sonst zu faul oder zu feige wäre.«
»Das ist aber ein ziemlich ungewöhnliches Verhalten für eine Katze. Normalerweise haben die kein großes Interesse daran, für jemanden den Motivationscoach zu spielen.«
»Er ist auch keine normale Katze und er unterliegt auch nicht direkt den Gesetzen der Natur.«
»Er unterliegt nicht den Gesetzen der Natur?«
»Nein, er ist imaginär«, antwortete ich und Beatrice hustete. »Aber davon wissen nicht viele Leute. Ich erzähle kaum jemandem von ihm.«
»Du hast einen imaginären Kater?«
»Ja. Das heißt, er gehört eigentlich nicht mir, er kommt mich nur hin und wieder besuchen.«
»Ah«, sagte sie und ihrem Gesicht nach zu urteilen saß sie gerade mit einem gefährlichen Psychopathen am Tisch.
»Darf ich dich mal was ganz anderes fragen?«, wechselte ich das Thema.
»Klar.«
»Kennst du zufällig eine katholische Highschool für Mädchen in West Midtown?«
»Warum willst du das wissen?« Sie warf mir einen misstrauischen Blick zu.
»Butterfly will, dass ich zu ihrer Schule gehe, weil dort das nächste Notizbuch versteckt ist. Sie hat geschrieben, dass es eine katholische Mädchenschule in West Midtown war.«
»Das nächste Notizbuch?«
»Wahrscheinlich noch ein Mord«, vermutete ich.
Sie starrte mich einen Moment zu lange an und schien etwas abzuwägen. »Sie meint die St. Michael Academy.«
»Gibt es eigentlich irgendetwas, das du nicht weißt?«
Sie antwortete nicht.
»Was ist los, Beatrice?«
Sie starrte mich weiter an. »Ich fühle mich … Ich weiß auch nicht, ich habe irgendwie schlechte Laune.«
»Meinetwegen?«
»Wahrscheinlich bin ich einfach müde.«
»Soll ich dich vielleicht nach Hause bringen?«
»Das ist lieb. Aber nein, danke.«
Mehr gab es nicht zu sagen. Wir hörten auf, einander anzustarren, und ein unbehagliches Schweigen breitete sich zwischen uns aus.
»Okay, Ben«, sagte sie schließlich, »es ist deine Schatzsuche, wegen der ich mich unwohl fühle. Ich habe keine Ahnung, wer du überhaupt bist. Du wirkst so nett und eigentlich auch ehrlich, aber diese ganzen Zufälle, die ich gestern noch lustig fand … na ja, die werden mir langsam echt unheimlich.«
»Wieso das denn?«
»Ich kenne die St. Michael Academy, weil ich dort zur Schule gegangen bin. Das ist meine alte Schule. Meine Vergangenheit.«
»Oh.« Meine Kinnlade klappte immer weiter nach unten.
»Ich frage mich langsam, ob du vielleicht irgendein krankes Spielchen mit mir spielst.«
»Oh«, sagte ich wieder, weil mir einfach nichts anderes einfallen wollte. »Ich denke mir das alles nicht selbst aus. Aber dann bist du ja mit Butterfly zur Schule gegangen.«
»Sie kann nicht in meinem Alter
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