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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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gewesen sein, sonst würde ich sie kennen.«
    »Sie wäre jetzt dreiunddreißig.«
    »Also vier Jahre älter als ich. Ich bin an die Schule gekommen, als ich vierzehn war. Da muss sie in der Zwölften gewesen sein oder vielleicht hatte sie sogar schon ihren Abschluss. Aber wir müssen gemeinsame Bekannte haben. Ich könnte mich mal umhören.«
    »Oh Gott, nein, bloß nicht«, fuhr ich panisch dazwischen. »Die Sachen, die ich dir erzählt habe, sind geheim. Mir wäre es lieber, wenn du sie nicht kennen würdest. So geht das alles nicht.«
    »Was geht so nicht?«
    »Das mit dir. Ich treffe mich gerne mit dir. Aber wenn du sie kennst, dann ändert das alles.«
    »Ich finde, du solltest nicht nach dem nächsten Notizbuch suchen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich das Gefühl habe, dass das alles irgendwie mit mir zu tun hat. Das sind einfach zu viele Zufälle.«
    »Hey, jetzt bleib du aber mal ganz locker, Kumpel. Das ist alles nur Zufall. Schließlich hat dich keiner gezwungen, mich vor der Bibliothek nach Feuer zu fragen. Das war ganz allein deine Entscheidung. Ich war nur irgendein Typ, der da auf der Treppe saß.«
    »Ich möchte nicht, dass du zu meiner Schule gehst.«
    »Warum nicht?«
    »Wegen all der Sachen, die ich gerade gesagt habe. Weil ich das total gruselig finde. Langsam kriege ich echt Angst.«
    »Aber ich muss da hingehen!«, rief ich.
    »Du musst gar nichts«, erwiderte sie trocken.
    »Es ist spannend, nicht gruselig. Ich decke da langsam, aber sicher irgendetwas auf, ich weiß nur noch nicht genau, was. Das hier ist meine Schatzsuche. Deswegen bin ich doch überhaupt nach Amerika gekommen.«
    Sie wich meinem Blick aus.
    »Komm mit und hilf mir, das Buch zu finden«, bat ich sie. Und dann fügte ich, halb scherzhaft, hinzu: »Ich beschütze dich auch vor ihr.«
    »Ich muss jetzt los«, sagte Beatrice und stand auf.
    »Warte. Ich bringe dich noch zur U-Bahn.« Ich stand ebenfalls auf und tastete nach meinem Portemonnaie.
    »Nein, ich zahle«, sagte sie. »Du kannst das Trinkgeld übernehmen.«
    Als wir nach draußen traten, schien Beatrice mit ihren Gedanken schon ganz woanders zu sein. Sie deutete in eine Richtung. »Du musst da lang«, erklärte sie. »Nummer 425 in der West 33rd Street, ganz in der Nähe der Penn Station. Ich würde an deiner Stelle ein Taxi nehmen.«
    »Kann ich dich irgendwo absetzen?«
    »Ich muss in die andere Richtung.«
    »Ach so. Meinst du denn, wir können uns mal wieder treffen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Okay.«
    »Hör zu, ruf mich einfach an. Nur nicht morgen, ja? Irgendwann anders.«
    »Gut«, erwiderte ich.
    Sie küsste mich auf die Wangen und ließ mich auf der Straße stehen; ich blickte ihr nach. Es wäre schön gewesen, wenn sie sich noch einmal umgedreht hätte, um mir zu zeigen, dass alles in Ordnung war, aber das tat sie nicht.

17

    T RACY
    Ich versuchte, mein Gespräch mit Beatrice nicht immer wieder im Kopf durchzuspielen, wollte die Dinge, die ich gesagt hatte, nicht verfälschen, sie lebhafter oder überzeugender wirken lassen, oder mir eingestehen, dass mein Verhalten möglicherweise ein bisschen rücksichtslos gewesen war. Stattdessen war ich sauer auf sie, weil sie sich nicht mit mir auf die Suche nach diesem Buch machen wollte. Sie sollte sich mit mir freuen. Sie sollte wieder so sein wie am Tag zuvor.
    Die Straße war hell erleuchtet und gut zu überblicken, doch es war keine Menschenseele in Sicht. Bloß hin und wieder mal ein Auto. Ein schwarzer Zaun mit schmiedeeisernen Spitzen verlief entlang der Schulfront. Ich hätte einfach darüberspringen können, aber das musste ich gar nicht. Zu beiden Seiten des Tors stand je ein großer Keramikpflanzkübel mit einem kleinen Strauch darin. Wenn ich meine Hände durch die Zaunstreben steckte, kam ich bequem an beide heran. Ich zog Tomomi Ishikawas Edelstahl-Kuli aus der Tasche und hockte mich hin. Im Licht einer Straßenlaterne fiel mein Schatten über den Topf, dem ich mich gerade widmete. Ein ähnlicher Schatten wie damals, als Butterfly ihren Schatz hier eingepflanzt hatte.
    Ich begann, kleine Probelöcher in die Erde zu bohren, in der Hoffnung, dass das, wonach ich suchte, nicht allzu tief vergraben sein würde. Die Erde war hart und schon seit längerer Zeit nicht mehr angerührt worden. Doch irgendwann war Butterfly hier gewesen und hatte genau dasselbe getan wie ich jetzt. Alles, was uns voneinander trennte, war Zeit. Ich sah sie vor mir: klein und zierlich, wie sie nachts ganz allein hier kauerte und

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