Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
ein kurzes Stück mit der Metro. Und was würde ich sonst mit dem Tag anfangen? Ich fand allerhand Kleinigkeiten, mit denen ich den Moment aufschieben konnte: Geschirr spülen, Zähne putzen, aber irgendwann hatte ich keine Ausflüchte mehr.
Ich nahm die Metro bis Ménilmontant und mein Körper schien Tonnen zu wiegen, als ich die Stufen zur Oberfläche hinaufstieg. Ich überquerte den Boulevard und bog in die Rue Étienne Dolet ein.
An Tomomi Ishikawas Haustür erinnerte ich mich an den Code vom Tag zuvor, ich tippte ihn ein, schleppte mich die Treppe zu ihrer Wohnungstür hoch und wartete. »Cat«, rief ich leise, damit niemand außer ihm mich hörte. Nichts geschah. Vielleicht war er gerade mit ein paar Katzenmädels unterwegs. »Cat!«, rief ich ein bisschen nachdrücklicher und endlich kam er widerstrebend die Stufen zur nächsten Etage heruntergetappt. »Was hast du denn da oben gemacht?« Er antwortete nicht. »Na ja, danke fürs Kommen jedenfalls«, fügte ich hinzu. Ich drehte den Schlüssel im Schloss um.
Cat ging vor und blieb dann wie angewurzelt stehen und lauschte. »Was ist los, Cat?« Er huschte lautlos zum Schlafzimmer und steckte seinen Kopf durch den Türspalt, dann kam er zurück, lief durch den Küchenbereich und spähte ins Badezimmer. Irgendetwas war anders, die Wohnung roch anders; jemand war hier gewesen. Es ging mich nichts an – schließlich hatte Butterfly das ja alles so organisiert –, doch seit meinem gestrigen Besuch hatten sich Kleinigkeiten verändert; was, weiß ich nicht genau, kaum wahrnehmbare Dinge. Ich bin mit keiner besonders guten Beobachtungsgabe gesegnet, aber es war jemand hier gewesen, so viel war sicher. Plötzlich wurde mir klar, was mir schon die ganze Zeit Unbehagen bereitete. In der gesamten Wohnung gab es nichts, was sie an mich erinnert hätte. Ich hatte Butterfly nie irgendetwas geschenkt. Ihr noch nicht mal ein Buch geliehen. Kein Wunder, dass sie sich so alleingelassen gefühlt hatte.
Diese Gedanken setzten sich in meinem Kopf fest und ich kratzte mich an selbigem, als könnte ich sie so loswerden. Ich hätte sie öfter anrufen, mehr Zeit mit ihr verbringen sollen. Ich hätte ihr helfen können.
Ich ging ins Badezimmer. Auf den Ablagen stand nichts. Kein Shampoo oder Duschgel, keine Zahnpasta, keine Creme. Über dem Rand der Duschkabine hing ein kleines Handtuch. Wahrscheinlich hatte sie es als Badematte benutzt. Ich griff nach der rauen Baumwolle und sie war feucht. Jemand hatte hier geduscht und Tomomi Ishikawas Sachen mitgenommen.
Butterfly musste doch haufenweise Gesichtscremes und Reinigungsmilch und solchen Kram gehabt haben. Sie war schließlich ein Mädchen. Warum hätte sie diese Sachen mitnehmen sollen? Waren sie am Tag zuvor auch schon weg gewesen? Wie hatte mir das nicht auffallen können? Aber wahrscheinlich achtet man auf so etwas einfach nicht, wenn man die Wohnung einer toten Freundin betritt.
Ich warf einen Blick ins Schlafzimmer. Überlegte, ob ich die Schränke durchwühlen sollte, aber das wäre doch zu dreist. Sie hatte mir ihren Computer und den Kugelschreiber vermacht. Und geschrieben, dass ich mich um den Rest nicht kümmern sollte. Das alles hier ging mich nichts an. Trotzdem, wer auch immer hier gewesen war, hatte geduscht und Butterflys Kosmetikprodukte eingesackt. Vielleicht hatte Butterfly der Person ja eine Nachricht hinterlassen, in der sie sie um genau das gebeten hatte, so wie sie mich aufgefordert hatte, mich aus dem Kühlschrank zu bedienen. Dann stiegen mir Tränen in die Augen und in meiner Kehle bildete sich ein Kloß, weil Butterfly keine Cremes und Kosmetikprodukte hatte. Ich hätte ihr welche kaufen können. Irgendetwas Nettes, womit sich ihre Haut gut angefühlt hätte. Selbst wenn es vielleicht ein bisschen teurer gewesen wäre. Dafür hätte ich ohne Probleme ein bisschen Geld übrig gehabt.
Cat sprang aufs Fensterbrett und starrte auf den Platz vor dem Haus hinunter. Die Bäume zeigten erste Anzeichen von Grün. Ein Mann saß auf einer Bank in der Nähe des Trinkwasserbrunnens. Er drehte sich um und blickte direkt zu mir hoch. Hastig machte ich einen Schritt zurück. Die Uhr an der Wand zeigte zwanzig nach drei. Ich schaute mich um und sah das Netzteil des Laptops auf dem Fußboden liegen, den Stecker noch in der Steckdose neben dem Tisch. Ich wickelte das Kabel auf und packte es in meine Tasche. Cat sprang vom Fensterbrett und wartete ungeduldig an der Tür, er wollte aufbrechen. Ich überlegte, ob ich noch
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