Die drei Musketiere 2
ihm also, wenn Ihr einige Freundschaft für mich fühlt.«
Mylady zog die Augenbrauen etwas zusammen. Eine kaum bemerkbare Wolke lagerte sich über ihre Stirn, und ein so seltsames Lächeln erschien auf ihren Lippen, daß der junge Mann, der diese dreifache Äußerung bemerkte, von einem leichten Scha uer erfaßt wurde.
»Seid willkommen, Monsieur«, sagte Mylady mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch zu dem von d’Artagnan bemerkten Mienenspiel stand, »denn Ihr habt Euch heute ein ewiges Recht auf meine Dankbarkeit erworben.«
Die hübsche Zofe, die d’Artagnan bereits gesehen hatte, trat ein, sie sagte einige Worte auf Englisch zu Lord Winter, der augenblicklich d’Artagnan um Erlaubnis bat, sich entfernen zu dürfen.
D’Artagnan tauschte einen Händedruck mit Lord Winter und wandte sich wieder Mylady zu, deren Gesicht mit
überraschender Beweglichkeit seinen anmutigen Ausdruck wiedergewonnen hatte.
Das Gespräch nahm eine heitere Wendung. Mylady erzählte, daß Lord Winter in Wahrheit nur ihr Schwager und nicht ihr Bruder sei, sie selbst habe dessen jüngeren Bruder geheiratet, der sie als Witwe mit einem Kind zurückgelassen. Dieses Kind sei der einzige Erbe von Lord Winter, wenn er nicht heirate. Das alles kam d’Artagnan wie ein Schleier vor, der etwas verhüllte, aber was dieses Etwas war, vermochte er sich nicht zu denken.
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Nach einer Unterredung von einer halben Stunde hatte d’Artagnan indessen die Überzeugung gewonnen, daß Mylady seine Landsmännin war, sie sprach das Französische mit einer Reinheit und Eleganz, daß kein Zweifel übrig blieb. D’Artagnan erging sich in nicht sehr geistreichen, galanten Redensarten und Ergebenheitsbeteuerungen, die Mylady wohlwollend anhörte.
Endlich war die Stunde zum Aufbruch gekommen. D’Artagnan verabschiedete sich und verließ den Saal als der glücklichste der Sterblichen.
Auf der Treppe begegnete er der hübschen Zofe, die sanft an ihn anstreifte, bis unter die Augen errötete und ihn mit so weicher Stimme wegen dieser Berührung um Verzeihung bat, daß diese auch augenblicklich bewilligt wurde.
D’Artagnan kam am anderen Tag wieder und wurde noch freundlicher als am Abend vorher empfangen. Lord Winter war nicht anwesend, und Mylady machte die liebenswürdigste Wirtin. Sie schien ein großes Interesse an ihm zu nehmen, fragte ihn, wo er wohne, wer seine Freunde seien, und ob er nicht zuweilen daran gedacht habe, in den Dienst des Kardinals zu treten.
D’Artagnan war, wie man weiß, sehr klug für einen jungen Mann von zwanzig Jahren. Er sprach mit großen
Lobeserhebungen von Seiner Eminenz und sagte Mylady, er würde nicht verfehlt haben, bei der Leibwache des Kardinals statt bei der des Königs einzutreten, wenn er zum Beispiel Monsieur de Cavois statt Monsieur de Treville gekannt hätte.
Mylady gab dem Gespräch eine andere Wendung und fragte d’Artagnan mit der harmlosesten Miene, ob er je in England gewesen sei.
D’Artagnan antwortete, er sei von Treville dahin geschickt worden, um wegen eines Ankaufs von Pferden zu unterhandeln, und habe auch vier Stück als Muster mitgebracht. Mylady biß sich im Verlauf des Gesprächs wiederholt auf die Lippen, denn sie erkannte, daß sie es mit einem jungen Mann zu tun hatte, der 22
sich keine Blößen gab.
Zu derselben Stunde wie am Tage vorher zog sich d’Artagnan zurück. Im Flur begegnete er abermals der hübschen Kitty, so hieß die Zofe. Sie schaute ihn mit einem unverkennbaren Ausdruck des Wohlwollens an. Aber d’Artagnan war so sehr mit der Gebieterin beschäftigt, daß er nur für das Auge hatte, was von ihr kam.
Am nächsten Tag kam d’Artagnan abermals und am
darauffolgenden ebenso, und jedesmal wurde ihm ein
freundlicher Empfang von Mylady zuteil. Jeden Abend begegnete er auch der hübschen Zofe auf der Treppe oder im Hausflur. Aber d’Artagnan ließ, wie gesagt, die auffallende Beharrlichkeit der armen Kitty unbeachtet.
*
Das Duell, bei dem Porthos eine so glänzende Rolle gespielt hatte, ließ diesen indessen das Mittagsmahl nicht vergessen, wozu er von Madame Coquenard eingeladen worden war. Am andern Tag gegen ein Uhr ließ er sich von Mousqueton den letzten Bürstenstrich geben und wanderte der Rue aux Ours zu.
Sein Herz klopfte, aber nicht wie jenes d’Artagnans, von einer jungen und ungeduldigen Liebe. Nein, ein gröberes Interesse leitete seine Schritte.
An der Tür regten sich jedoch in dem Musketier einige Zweifel. Der Eingang hatte
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