Die drei Musketiere 2
Mantelsack übrig.« –
»Auch darum seid unbesorgt«, rief Madame Coquenard. »Mein Mann hat fünf oder sechs Mantelsäcke, und Ihr könnt Euch den besten auswählen. Einen hat er besonders gern auf die Reise mitgenommen, der ist so groß, daß man eine ganze Welt hineinpacken kann.«
»So ist er also leer, dieser Mantelsack?« fragte Porthos naiv. –
»Gewiß ist er leer«, erwiderte die Prokuratorin ebenso naiv. –
»Aber der Mantelsack, den ich brauche, meine Liebe, muß hübsch gefüllt sein«, rief Porthos aus. Madame Coquenard stieß 28
neue Seufzer aus. Molière hatte seinen »Geizigen« noch nicht geschrieben, Madame Coquenard gebühr t also der Vorrang vor Harpagon.
In ähnlicher Weise wurden die übrigen Stücke der Ausrüstung aufgenommen, und das Ergebnis der Besprechung war, daß die Prokuratorin von ihrem Gatten achthundert Livres in barem Geld verlangen und das Pferd und das Maultier, die Porthos und Mousqueton zum Ruhme tragen sollten, liefern wollte.
Als diese Bedingungen festgestellt waren, nahm Porthos von Madame Coquenard Abschied und kehrte mit nagendem Hunger nach seiner Wohnung zurück.
3
Trotz der Stimme seines Gewissens, trotz Athos’ weiser Ratschläge und der Erinnerung an Madame Bonacieux verliebte sich d’Artagnan von Stunde zu Stunde mehr in Mylady; auch verfehlte er nicht, ihr täglich auf eine Weise den Hof zu machen, die, wie der eitle Gascogner überzeugt war, früher oder später eine Erwiderung zur Folge haben mußte.
Als er eines Tages hochfahrend und leichten Sinnes wie ein Mensch, der einem Goldregen entgegensieht, in Myladys Hotel kam, traf er die Zofe unter der Einfahrt, aber diesmal begnügte sich die hübsche Kitty nicht mit einem flüchtigen Lächeln, sie nahm ihn sanft bei der Hand.
»Ich wünsche ein paar Worte mit Euch zu sprechen, Herr Chevalier«, stammelte die Kammerjungfer. – »Sprich, mein Kind, sprich«, sagte d’Artagnan, »ich höre.« – »Hier unmöglich; was ich Euch zu sagen habe, ist zu lang und besonders zu geheim.« – »Nun! Was ist aber dann zu machen?« – »Wenn der Herr Chevalier mir folgen wollte«, sagte Kitty schüchtern. –
»Wohin du willst, mein schönes Kind.« – »So kommt!«
Und Kitty, die seine Hand nicht losgelassen hatte, zog ihn 29
nach sich auf eine düstere Wendeltreppe und öffnete eine Tür, nachdem sie etwa fünfzehn Stufen hinaufgestiegen waren.
»Tretet ein, Herr Chevalier, hier sind wir allein und können ruhig miteinander sprechen.«
»Was ist das für ein Zimmer, schönes Kind?«
»Das meinige, gnädiger Herr; es steht mit dem meiner Gebieterin durch diese Tür in Verbindung. Aber seid ohne Sorgen, sie kann nicht hören, was wir sprechen, da sie sich nie vor Mitternacht schlafen legt.«
D’Artagnan ließ seine Blicke umherschweifen.
»Ihr liebt also meine Gebieterin sehr, Herr Chevalier?« – »Ich weiß nicht, ob ich sie wahrhaft liebe, ich weiß nur, daß ich wahnsinnig in sie verliebt bin.«
Kitty stieß einen Seufzer aus.
»Ach! Mein Herr, das ist schade.« – »Was zum Teufel siehst du denn darin so Unangenehmes?« – »Ich meine, weil meine Gebieterin Euch gar nicht liebt.« – »Wie!« rief d’Artagnan,
»sollte sie dich beauftragt haben, mir dies zu sagen?« – »O nein, gnädiger Herr, aber ich habe aus Mitleid für Euch den Entschluß gefaßt, es Euch wissen zu lassen.«
»Ich danke, meine gute Kitty, aber nur für die Absicht, denn du wirst wohl zugeben, daß eine solche Eröffnung nicht gerade angenehm ist.« – »Das heißt, Ihr glaubt nicht an das, was ich Euch gesagt habe, wie?« – »Ich gestehe, wenn du mir nicht irgendeinen Beweis für deine Behauptung zu geben vermagst
…«
Kitty zog aus ihrem Busen ein kleines Billett ohne Aufschrift hervor.
»Für mich?« rief d’Artagnan, sich rasch des Briefchens bemächtigend, und mit der Geschwindigkeit eines Gedankens zerriß er den Umschlag, trotz des Einspruchs, den Kitty erhob, als sie sah, was er tun wollte, oder vielmehr, was er tat.
»Ach! Mein Gott! Chevalier, was macht Ihr da?«
30
»Ei! Bei Gott, muß ich nicht von dem, was an mich gerichtet ist, Kenntnis nehmen?« Und er las: »Ihr habt auf mein erstes Billett nicht geantwortet. Seid Ihr leidend oder habt Ihr vergessen, mit welchen Augen Ihr mich auf dem Ball der Madame de Guise ansähet? Die Gelegenheit ist da, Comte, laßt sie nicht entschlüpfen!«
D’Artagnan erbleichte, er war in seiner Eigenliebe verletzt, er glaubte sich in seiner Liebe
Weitere Kostenlose Bücher