Die drei Musketiere
worüber der Kardinal erstaunte. »Man beschuldigt Euch des Verkehrs mit den Feinden des Landes; man klagt Euch an, Staatsgeheimnisse belauscht zu haben; man gibt Euch Schuld, daß Ihr die Pläne Eures Generals zu vereiteln getrachtet habt.«
»Und wer beschuldigt mich dessen, Monseigneur?« fragte d'Artagnan in der Vermutung, daß die Anklage von Mylady sei. »Ein von den Gerichten gebrandmarktes Weib, ein Weib, das einen Mann in Frankreich und einen andern in England geehelicht, ein Weib, das seinen zweiten Gemahl vergiftet und auch mich zu vergiften gesucht hat.«
»Ha, was redet Ihr da?« rief der Kardinal erstaunt, »von welchem Weibe sagt Ihr das?«
»Von Mylady Winter,« versetzte b'Artagnan, »deren Verbrechen Eure Eminenz gewiß nicht kannte, als Sie dieselbe mit Ihrem Vertrauen beehrte.«
»Mein Herr,« versetzte der Kardinal, »hat sich Mylady dieser Verbrechen, die Ihr da angebt, schuldig gemacht, so soll sie bestraft werden.«
»Sie ist bestraft.«
»Wer hat sie bestraft?«
»Wir.«
»Ist sie im Gefängnis?«
»Sie ist tot.«
»Tot!« rief der Kardinal, der an das, was er hörte, nicht gleich glauben konnte. »Habt Ihr nicht gesagt, daß sie tot sei?«
»Sie hat es dreimal versucht, mich umzubringen, und ich vergab ihr; allein sie vergiftete eine Frau, die ich liebte; dann nahmen wir sie, meine Freunde und ich, gefangen, hielten Gericht und verurteilten sie.« Nunmehr erzählte d'Artagnan die Vergiftung von Madame Bonacieux im Kloster der Karmeliterinnen zu Bethune, das Gericht in dem einsam gelegenen Haus und die Exekution am Ufer der Lys. Der Kardinal war im ganzen Leibe durchschauert, obwohl das sonst bei ihm so leicht nicht geschah. Jedoch, als erfaßte ihn plötzlich ein stiller Gedanke, erhellte sich allgemach sein bisher so düsteres Antlitz und ward endlich völlig aufgeheitert. »Ihr habt Euch somit«, sprach ermit einer Stimme, deren Weichheit mit der Strenge seiner Worte seltsam kontrastierte, »Ihr habt Euch somit das Richteramt angemaßt, ohne zu bedenken, daß diejenigen Mörder sind, die ohne höheren Auftrag strafen.«
»Monseigneur! ich schwöre, daß es nicht einen Augenblick lang meine Absicht war, gegen Sie meinen Kopf zu verteidigen; ich will mich der Strafe unterwerfen, die Eure Eminenz über mich verhängt. Mir ist das Leben nicht in dem Grade lieb, daß ich den Tod fürchten sollte.«
»Ja, ich weiß, daß Ihr beherzt seid,« sagte der Kardinal in einem fast gutmütigen Ton; »ich kann Euch also im voraus melden: man wird über Euch Gericht halten, Euch sogar verurteilen.«
»Ein anderer könnte Seiner Eminenz erwidern, er trage seine Begnadigung in der Tasche, ich aber antworte bloß: »Monseigneur! ich bin Ihres Befehles gewärtig.«
»Eure Begnadigung? fragte Richelieu verwundert. »Ja, Monseigneur,« versetzte d'Artagnan. »Von wem unterfertigt? Etwa vom König?«
»Nein, von Eurer Eminenz.«
»Von mir? Ha, mein Herr, Ihr seid verrückt!«
»Monseigneur, Sie werden sicher Ihre Handschrift kennen.« Mit diesen Worten reichte d'Artagnan dem Kardinal jenes kostbare Papier, das Athos Mylady abgenötigt und d'Artagnan zugestellt hatte, damit es ihm als Schutzwehr diene. Seine Eminenz las es langsam und betonte jede Silbe. »In meinem Auftrag und zur Wohlfahrt des Staates hat der Träger des Gegenwärtigen gehandelt. Im Lager von La Rochelle, 3. August 1628. Richelieu.« Der Kardinal versank in tiefes Nachsinnen; doch gab er das Papier, nachdem er es gelesen, d'Artagnan nicht wieder zurück. »Er erwägt, durch welche Strafe er mich dem Tod überliefern soll,« sprach der Gascogner zu sich selbst. »Wohl, er sehe, wie ein Edelmann stirbt.« Der junge Musketier war in der besten Gemütsstimmung, um sich heldenmütig vom Leben zu trennen. Richelieu blieb immer gedankenvoll, und rollte das Papier in seiner Hand auf und zu. Dann richtete er seinen Adlerblick auf diese edlen, offenen und geistvollen Züge, auf dieses Gesicht, das infolge eines monatelangen Leidens von Tränen durchfurcht war, und dachte zum dritten- und viertenmal, welche Zukunft dieser Knabe von zwanzig Jahren vor sich habe, und welche Mittel seine Regsamkeit, sein Mut und sein Geist einem guten Gebieter an die Hand geben könnten. Von der andern Seite hatte ihn die Zahl der Verbrechen, die Macht und der höllische Geist Myladys öfter als einmal mit Schreck erfüllt. Er empfand gleichsam eine geheime Freude darüber, daß er diese gefährliche Gläubigerin für immer los war. Sonach zerriß er langsam
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