Die drei Musketiere
ganz in das Innere von Aramis' Wohnung vertiefen konnte. Als nun d'Artagnan da hineinblickte, war er nahe daran, einen Schrei der Überraschung auszustoßen; es war nicht Aramis, der mit der nächtlichenBesucherin plauderte, es war eine Frau. D'Artagnan sah genug, um die Form ihrer Kleidung, aber nicht genug, um deren Gesichtszüge auszunehmen. In diesem Moment zog die Frau in der Wohnung ein zweites Sacktuch aus ihrer Tasche und vertauschte es mit dem, das man ihr zeigte. Dann wurden zwischen den beiden Frauen einige Worte gewechselt; endlich schloß sich der Fensterbalken, die Frau, die außen am Fenster stand, wandte sich, zog die Kapuze ihres Mantels herab, und ging auf vier Schritte bei d'Artagnan vorüber; doch diese Vorsichtsmaßregel kam schon zu spät, denn d'Artagnan erkannte Madame Bonacieux. Daß es Madame Bonacieux sei, ahnte ihm schon, als sie das Sacktuch aus ihrer Tasche herauszog; welche Wahrscheinlichkeit war aber vorhanden, daß Madame Bonacieux, die nach Herrn Laporte geschickt hatte, um sich nach dem Louvre zurückführen zu lassen, allein um halb zwölf Uhr des Nachts in den Straßen umherlaufe, auf die Gefahr, wieder festgenommen zu werden? Es mußte sich somit um eine sehr wichtige Angelegenheit handeln, und was kann es für eine Frau von fünfundzwanzig Jahren Wichtiges geben: die Liebe! Doch hatte sie sich im eigenen Interesse ober für Rechnung einer anderen Person solchen Zufällen ausgesetzt? Darüber befragte sich der junge Mann selbst; denn der Dämon der Eifersucht stachelte sein Herz nicht mehr und nicht weniger als einen erklärten Liebhaber. Es gab da ein sehr einfaches Mittel, sich zu versichern, wohin Madame Bonacieux ginge. Er brauchte ihr nur auf dem Fuße nachzufolgen, und d'Artagnan wandte auch dieses einfach-natürliche Mittel instinktmäßig an. Bei dem Anblick des jungen Mannes aber, der sich von der Mauer trennte, wie ein Standbild von seiner Nische, und bei dem Geräusch der Tritte, die Madame Bonacieux hinter sich vernahm, stieß sie einen Schrei aus und entfloh. D'Artagnan lief ihr nach. Es war für ihn gar nicht schwierig, eine Frau einzuholen, die durch ihren Mantel verhindert wurde. Er hatte sie also schon bei dem ersten Drittel der Gasse erreicht, in die sie eingebogen hatte. Die Arme war erschöpft, nicht vor Ermattung, sondern vor Schreck, und als d'Artagnan die Hand auf ihre Schulter legte, fiel sie auf die Knie und rief mit erstickter Stimme: »Tötet mich, wenn Ihr wollt, doch erfahren werdet Ihr nichts!« D'Artagnan faßte sie unter dem Arm und hob sie auf: doch da er an ihrem Gewicht bemerkte, daß sie ohnmächtig zu werden drohe, so beeilte er sich, sie durch Beteuerung seiner Ergebenheit zu beschwichtigen. Diese Beteuerungen galten Madame Bonacieux für nichts, denn man kann solche mit den schlimmsten Gesinnungen von der Welt machen; allein der Ton der Stimme galt ihr alles. Die junge Frau glaubte den Klang dieser Stimme zu erkennen; sie öffnete die Augen wieder, warf einen Blick auf den Mann, der ihr so große Furcht einjagte, und als sie d'Artagnan erkannte, erhob sie einFreudengeschrei: »Ah, Sie – Sie sind es!« stammelte sie, »Gott sei Dank!«
»Ja, ich bin es,« entgegnete d'Artagnan, »ich, den Gott gesendet hat, um über Sie zu wachen.«
»Sind Sie mir deshalb nachgegangen?« fragte mit einem koketten Lächeln die junge Frau, deren etwas spöttischer Charakter wieder ein bißchen hervortrat und bei der alle Angst von dem Moment an verschwunden war, wo sie in dem Manne, den sie für einen Feind hielt, einen Freund erkannte. »Nein, erwiderte d'Artagnan, »nein, ich gestehe es, mich führte der bloße Zufall auf Ihre Wege; ich sah eine Frau an das Fenster eines meiner Freunde pochen.«
»Eines Ihrer Freude?« fiel Madame Bonacieux ein. »Ja, Aramis gehört zu meinen besten Freunden.«
»Aramis? wer ist das?«
»Ei, gehen Sie – Sie wollen mir sagen, daß Sie Aramis nicht kennen?«
»Ich höre seinen Namen zum erstenmal aussprechen.«
»Kamen Sie also auch zum erstenmal zu jenem Hause?«
»Gewiß.«
»Und wußten Sie nicht, daß es ein junger Mann bewohne?«
»Nein.«
»Ein Musketier?«
»Ganz und gar nicht.«
»Also haben Sie nicht ihn aufgesucht?«
»Nicht im geringsten. Außerdem haben Sie wohl gesehen, daß die Person, mit der ich sprach, eine Frau war.«
»Das ist wahr, aber diese Frau ist gewiß eine Freundin von Aramis.«
»Das weiß ich nicht.«
»Weil sie bei ihm wohnt.«
»Das geht mich nichts an.«
»Wer ist sie
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