Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
er eine Spur von Unwillen in den Augen der Regentin zu bemerken glaubte.
In der Tat war es der Tochter Ludwigs des Elften viel mehr um ihren königlichen Vorteil zu tun als um ein vollzähliges Dutzend von Zuckernüssen oder Knackmandeln, woraus sie sich in Wahrheit gar nichts machte, besonders jetzt im Augenblick, wo sie sich daran satt gegessen hatte, ohne, wie sie bestimmt dachte, den königlichen Beutel dafür aufmachen zu müssen. Sie verzichtete deshalb darauf, es noch einmal, wie ihr der Tourainer anbot, auf die Wette ankommen zu lassen. Auch war sie als Weib viel zu neugierig darauf, was er dem Hohen Rat für eine Rede vorbringen werde.
»So werde ich also sicher«, sprach der Geselle, »Euer Erster Kammerherr sein.«
Die Schloßhauptleute, Sekretäre, Räte und andres Volk, die durch Amt und Dienst der Regentin verpflichtet waren, hatten sich alle zusammen, nachdem sie mit Erstaunen die plötzliche Abreise ihrer Herrin vernommen, unverweilt auf den Weg nach Schloß Amboise gemacht, voll Neugierde, was diesen überstürzten Aufbruch veranlaßt habe, und hielten sich hier in aller Frühe zur Ratsitzung bereit, zu der die Regentin sie auch sofort zusammenrief, um jeden Verdacht zu vermeiden, ab ob sie gewillt sei, ihrer zu spotten. Sie band ihnen auch keine andren Bären auf, als die Hochweislichen sich freiwillig aufbinden ließen. Gegen Ende der Sitzung erschien der neugebackene Kammerherr, um seine Herrin zurückzubegleiten. Die hohen königlichen Räte hatten sich bereits von ihren Sitzen erhoben, der kühne Tourainer aber nahm ohne Umstände das Wort und bat sie um ihr Urteil in einer Streitfrage, die sowohl für ihn als für das königliche Krongut von höchster Wichtigkeit wäre.
»Er spricht die Wahrheit«, sagte die Regentin, »hört ihn.«
Und ohne sich um die Formenfaxen und andern Hokuspokus eines Hohen Gerichtshofes weiter zu kümmern, begann Jacques de Beaune ungefähr folgendermaßen seine Rede:
»Sehr edle Herren, ich bitte euch inständigst, mir aufmerksamst zuzuhören, wenn ich auch gleich nur von Nußschalen reden werde, und mir die Ungefügigkeit meiner Rede in Gnaden zu verzeihen. Nämlich ein Edelmann, der mit einem andern Edelmann in seinem Baumgarten lustwandelte, gewahrte vor sich einen schönen Nußbaum Gottes, einen Nußbaum, wohlgewachsen, schön zu sehen und anzuschauen, wenn er auch gleich ein wenig hohl war, einen grünen, frischen Nußbaum, der einen guten Geruch ausstreute, einen Nußbaum, der auch euch angestanden haben würde, wenn ihr ihn gesehen hättet – ein wahres Wunder von einem Nußbaum, der wahrlich dem Baum der Erkenntnis glich, dem Baum des Guten und des Bösen, den der Herr unser Gott verboten hatte und um dessentwillen unsre Stammutter Eva mitsamt ihrem Herrn Gemahl aus dem Paradies verstoßen wurde. Dieser Nußbaum, meine ehrwürdigen und hohen Herren, wurde der Gegenstand eines kleinen Streits zwischen den beiden Edelleuten und einer lustigen Wette, wie man sie unter Freunden einzugehen pflegt. Der jüngere von beiden rühmte sich, in die Krone des belaubten Nußbaums zwölfmal hintereinander seinen Stock zu werfen, den er in der Hand trug, wie jeder von uns gelegentlich einen Stock in der Hand trägt, wenn er in seinem Baumgarten lustwandelt, und verschwur sich, mit jedem Wurf des genannten Stocks wolle er unfehlbar eine Nuß herunterwerfen ... Habe ich den Streitpunkt klar und richtig expliziert, definiert und annonciert?« fragte er mit einer leichten Wendung gegen die Regentin.
»Ja, meine Herren«, nickte diese, erstaunt über die Gewandtheit ihres Stallmeisters.
»Der andre wettete dagegen«, fuhr der Tourainer fort. »Und also fing der erste an zu werfen und warf seinen Stock mit solcher Zuversicht und Gewandtheit und also geschickt und sicher, daß alle beide ihr Vergnügen dran hatten. Und siehe, durch die besondere Gunst der Heiligen, die ohne Zweifel desgleichen ein Vergnügen hatten, sie an der Arbeit zu sehen, geschah es, daß bei jedem Streich eine Nuß zur Erde fiel, und waren zuletzt ein volles und rundes Dutzend Nüsse. Doch wollte es das Unglück, daß die letzte Nuß hohl war, ohne Keim und Samen, woraus ein neuer Nußbaum hätte kommen können, wenn ein Gärtner sie in die Erde gelegt hätte. Hat nun der Mann mit dem Stock gewonnen? Dixi, ich habe gesprochen. An euch, meine Herren, das Urteil.«
»Alles ist gesagt«, antwortete der hochgelahrte und beider Rechte Doktor, mit Namen Fumatus, ein Tourainer, der zur Zeit die Siegel des
Weitere Kostenlose Bücher