Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
beobachtet haben, die sich doch in alle Ewigkeit nicht ändern, so wenig wie unser eignes Gehaben und Gebaren. Darum eßt warm, trinkt frisch, lacht lieber, als ihr weint, und bedenkt, daß eine Unze Schwartenmagen mehr wert ist als ein Zentner Melancholie.
Die Ausschweifungen des genannten Prinzen, des Geliebten der Königin Isabelle, die auch ein munteres Vögelchen war, verwickelten ihn in mancherlei ergötzliche Abenteuer; denn dieser königliche Sprößling war stets zu den tollsten Tollheiten aufgelegt, er hatte einen wahrhaft alkibiadischen Witz und war mit einem Wort ein echter Franzose der alten Rasse.
So war er es, der zuerst den Gedanken faßte, sich auf den Poststationen nicht nur Pferde, sondern auch Weiber in Bereitschaft halten zu lassen, derart, daß, wenn er von Paris nach Bordeaux reiste, er überall, wo er aus dem Sattel stieg, außer einer guten Mahlzeit auch ein Bett vorfand, nicht nur mit weißem Leinen, sondern auch mit weißen Armen und Beinen. Der glückliche Prinz! Er starb im Sattel. Und im Sattel hatte er sein Leben vollbracht, die Zeit zwischen den Bettüchern mit eingerechnet. Von seinen ausgelassenen Possen aber hat der allerfürtrefflichste König Ludwig der Elfte eine der verwunderlichsten in dem Buch der ›Hundert Neuen Historien‹ aufzeichnen lassen, welche kostbaren Geschichten während seiner kronprinzlichen Verbannung am Hofe von Burgund unter den Augen des Prinzen niedergeschrieben wurden und die so entstanden sind, daß der Verbannte und sein Vetter, der Herzog von Charolais, wenn sie an den Abenden Langweile hatten, sich die galanten Hofgeschichten ihrer Zeit erzählten, und die Höflinge, wenn es an wahrhaftigen fehlte, ihnen erfundene zum besten gaben, eine toller als die andre. Aus schuldigem Respekt vor dem königlichen Blut hat der genannte Prinz Ludwig die Sache, die der Dame von Cany zugestoßen ist, einem Bürgersmann in die Schuhe geschoben, und zwar unter dem Titel ›Die Kehrseite der Medaille‹, wie jedermann in den ›Hundert Neuen Historien‹ nachlesen kann, wo sie eine der lustigsten und bestgedeichselten ist und nicht mit Unrecht an der Spitze der ganzen Sammlung steht.
Hört nun aber die meinige.
Hatte da der mehrfach genannte Herzog von Orleans einen treuen Diener und Vasallen, pikardischer Edelmann seines Herkommens, genannt Raoul de Hocquetonville. Dieser heiratete, sehr zum nachherigen Schaden des Herzogs, ein reiches Fräulein aus dem herzoglichen Hause von Burgund, die im Gegensatz zu dem, was bei Erbtöchtern herkömmlich ist, von einer so verblüffenden Schönheit war, daß in ihrer Gegenwart alle Damen des Hofs, die Königin und Prinzessin Valentine nicht ausgenommen, wie in den Schatten gestellt erschienen. Aber die reiche Sippschaft und Erbschaft wie auch Schönheit und anmutsvolles Wesen waren das geringste bei der Dame von Hocquetonville; diese seltenen Vorzüge erhielten durch eine engelhafte Unschuld, keusche Erziehung und anmutsvolle Bescheidenheit erst ihre Weihe und wahren Wert.
Der seltene Blütenschmelz dieser vom Himmel gefallenen Blume stach alsobald dem Herzog in die Augen, der sich an ihrem Duft bis zur Tollheit berauschte. Er verfiel in Melancholie, fand auf einmal alle Hurenhäuser stinkend, und wenn er der Königin Isabelle, die doch kein schlechter Brocken war, noch hie und da ihren Gefallen tat, geschah es nur mißmutig und widerwillig. Er geriet nach und nach in eine wahre Wut und schwur, daß er, sei es mit geheimer Zauberei oder offenbarer Gewalt, mit List oder Hinterlist – oder auch mit ihrer einfachen Einwilligung, die sehr anmutreiche Dame haben wolle, als welche allein schon durch ihre graziöse Erscheinung ihm Schlaf und Ruhe raubte, daß all seine Nächte trist und trostlos wurden.
Er begann zunächst damit, sie mit zuckrigen Worten zu ködern, erkannte aber bald an ihrem heiteren und offenen Wesen, daß sie bei sich fest entschlossen war, tugendhaft zu bleiben; sie zeigte gar kein Erstaunen über seine Anträge und trug auch nicht nach der Art dummer Gänse eine geheuchelte Entrüstung zur Schau.
»Mein hoher Herr«, sagte sie lächelnd, »ich muß Euch frei heraus erklären, daß ich mit unerlaubter Liebe nichts zu tun haben will, nicht aus Verachtung der Ergötzungen, die man uns dabei verspricht und die wahrlich nicht gering sein müssen, da eine Menge Frauen alles dieser Sache opfern, sich und ihr Haus, Ehre, Zukunft und Glück, vielmehr allein aus Liebe zu meinen Kindern, denen ich Vorbild
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