Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
rührte, deren Herz übervoll war und dem Magen allen Platz wegnahm. Sie dachte nur an den schönen und stattlichen Mann und hatte nach nichts Appetit als nach ihm. Jacques aber aß für sieben aus mehr als einem Grund. Kommt dann plötzlich der Bote, und die Frau Regentin beginnt in ein Toben auszubrechen, wütige Blicke zu werfen und ganz in der Art des seligen Königs auszurufen: »Wird man denn nie einen Augenblick Ruhe haben in diesem Staat? Herrgottsakra, wird einem jede Feierstunde verdorben?« und dann aufzuspringen und mit großen Schritten auf und ab zu gehen.
»Meinen Zelter! Wo ist mein Stallmeister? Natürlich, er muß gerade jetzt in der Pikardie sein. Ihr aber, D'Estouteville, Ihr werdet mit Eurem Fähnlein meinen Hofhalt nach Schloß Amboise begleiten. Und Ihr«, sich an Jacques wendend, »Ihr sollt mein Stallmeister sein, Herr von Beaune. Ihr wollt dem König dienen, die Gelegenheit ist gut. Himmelsakra, kommt! Ein Aufstand ist ausgebrochen, ich brauche treue Diener.«
Und in kaum der Zeit, die ein alter Bettler gebraucht haben würde, um ein Dutzend Aves zu beten, war alles fertig, die Pferde gesattelt und gezäumt, die Regentin auf ihrem Zelter, der junge Tourainer ihr zur Seite, und auf und davon im Galopp nach Schloß Amboise, ein großer Haufen Kriegsvolk hinterdrein.
Um hier kurz zu sein und ohne Umschweife zur Hauptsache zu kommen, ist zu sagen, daß der Junker von Beaune um ein Dutzend Klafterlängen von der Regentin entfernt einquartiert wurde, weit weg von den Mauern und Wällen. Die Hofleute aber und das Volk fragten sich voll Verwunderung, wo denn nur der Feind versteckt sei; der Mann der Dutzendprahlerei, der sich beim Wort genommen sah, hätte es ihnen wohl sagen können.
Im ganzen Königreich war die Tugend der Regentin bekannt und ihr Betragen daher über jeden Verdacht erhaben. Die strenge Frau galt für mindestens so uneinnehmbar, um in einem damals geläufigen Sprichwort zu reden, wie die Festung von Peronne. Zur Stunde nun, da alle Feuer gelöscht, das ganze Schloß stumm und alles geschlossen war, die Ohren und die Augen, verabschiedete die Frau Regentin ihre Zofen und ließ ihren Stallmeister kommen, der sich wohl hütete zu zögern. Dann saßen sie, die hohe Frau und der Abenteurer, unter dem Mantel des hohen Kamins, Seite an Seite auf der samtüberzogenen Bank, und die neugierige Regentin, indem sie den Junker mit einem zärtlichen Blick streichelte, fragte: »Seid Ihr auch nicht in allen Gliedern zerschlagen? Es war recht grausam von mir, einem treuen Diener, den meine Leute vorher auf den Tod verwundet hatten, gleich darauf einen zwölf Meilen weiten Ritt zuzumuten. Wahrlich, das tat mir so leid, daß ich nicht schlafen gehen konnte, ohne Euch vorher gesehen zu haben. Habt Ihr wirklich nicht Schmerz und Wunde?«
»Meine Ungeduld ist mein Leiden«, entgegnete der Dutzendmann, der bei sich bedenken mochte, daß jetzt nicht der Ort und die Stunde sei, den Widerborstigen zu spielen. »Doch«, fügte er hinzu, »zu meinem Glück sehe ich, meine allerschönste hohe Herrin, daß Euer Diener Gnade gefunden hat in Euern Augen.«
»Hört einmal«, sprach sie, »habt Ihr nicht ein wenig gelogen, als Ihr mir sagtet ...«
»Was?«
»Als Ihr mir sagtet, daß Ihr mir wohl ein dutzendmal nachgefolgt wäret, in Kirchen und an andern Orten, wohin ich mich mit meiner Person verfügte?«
»Aber ganz gewiß«, antwortete er.
»Da muß ich mich füglich verwundern«, erwiderte die Königstochter, »daß ich erst heut einen braven Jüngling bemerkt habe, dem doch die Tapferkeit auf dem Gesicht geschrieben steht. Ich widerrufe nichts von allem, was Ihr etwa gehört haben mögt, als ich Euch auf den Tod verwundet glaubte. Ihr habt mein Wohlgefallen erregt, ich will Eure Wohltäterin sein.«
Da merkte Jacques, daß die Stunde des kleinen Teufels, den die unwissenden Heiden Gott Amor nannten, gekommen sei; er warf sich der Regentin zu Füßen, küßte ihre Hände, ihre Knie und alles, und unter Küssen und Liebkosungen bewies er der etwas ältlichen Tugend seiner Herrscherin mit vielen treffenden Argumenten, daß eine Dame, die die Last eines Staates auf ihren Schultern trug, das Recht habe, sich einigermaßen zu verteidigen. Die Regentin auch wollte ihre Souveränität nichts verdanken, sie wollte mit Gewalt genommen sein, um die ganze Sünde auf ihren Geliebten abschieben zu können. Im übrigen könnt ihr euch denken, daß sie sich mit Wohlgerüchen und Spezereien
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