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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Königreichs in Verwahrung hatte. »Dem andern bleibt nur eins übrig ...«
    »Was?« fragte die Regentin hastig.
    »Zu bezahlen, hohe Herrin.«
    »Er ist allzu fein«, sprach die Regentin, indem sie ihrem Stallmeister einen leisen Backenstreich versetzte; »er kommt sicher eines Tages an den Galgen.«

     
    Sie dachte zu scherzen. Aber ihr Wort wurde das wahrhaftige Horoskop des nachherigen königlichen Schatzmeisters, der, nachdem er auf der Staffel der königlichen Gunst sehr hoch gestiegen, zuletzt noch höher stieg, nämlich die Leiter hinauf, wo oben der hänfene Strick hängt, und zwar infolge der Rache eines andern alten Weibes und der niederträchtigen Verräterei eines Herrn aus Ballin, seines Schreibers, dessen Glück er gemacht hatte und der mit Namen Pretest hieß, nicht René Gentil, wie ihn einige mit großem Unrecht genannt haben. Dieser Ganelon und untreue Diener lieferte, wie erzählt wird, der Herzogin von Angoulême die Quittung aus für das Geld, das ihr Jacques de Beaune ausgezahlt hatte, der unterdessen Baron von Semblançay, Schloßherr von Carte und Azay und einer der höchsten Würdenträger des Staats geworden war. Von seinen zwei Söhnen war der eine Erzbischof von Tours, der andere Steuerpächter und Gouverneur des Landes Touraine. Aber das hat mit diesem Abenteuer am Ende nichts zu tun.
    Um auf die Jugendgeschichte unsers Jacques zurückzukommen, so ist zu sagen, daß die Frau Regentin, die Regentin ein wenig spät und Frau noch später geworden war, mit großer Befriedigung die hohe Wissenschaft und Tüchtigkeit in öffentlichen Geschäften bei ihrem Günstling und Geliebten gewahr wurde; sie machte ihn zum Verwalter der königlichen Kasse, in welchem Amt er sich so umsichtig zeigte und auf fast mirakulöse Art die königlichen Taler verdutzendfachte, daß er eines Tags zum Generalverwalter der Finanzen ernannt wurde, die er ebenfalls sehr vermehrte, fast wie seine eignen, denn auch diese vergaß er darüber keineswegs, was nur recht und billig war. Auch zahlte die gute Regentin ihre Wette und ließ ihrem Stallmeister die Herrschaft von Azay-le-Rideau ausliefern, dessen Schloß, wie jedermann weiß, als erstes in Touraine von bombardierenden Kanonieren zusammengeschossen worden. Wegen dieses höllischen Wunders mit Blitz und Donner wären die neumodischen Kriegskumpane vor dem Geistlichen Gericht des Kapitels, wenn der König sich nicht dazwischengelegt hätte, fast als Ketzer und der teuflischen Zauberei überwiesen, verurteilt worden.
    Zu jener Zeit baute ein gewisser Generalpächter, namens Bohier, das Schloß von Chenonceaux und hatte den spaßigen Einfall, das Grundgemäuer so anzulegen, daß das Haus sozusagen rittlings über den Fluß, die Cher genannt, zu stehen kam.
    Um nun auch etwas Besonderes zu haben, baute der Baron von Semblancay das neue Schloß mitten in den Fluß Indre hinein. Er baute es auf Pfähle und so fest und wohlgefügt, daß es heute noch aufrecht steht als das schönste Kleinod dieses freundlichen grünen Flußtals. Jacques de Beaune gab dafür auch dreißigtausend Taler aus, die Frondienste seiner Untergebenen ungerechnet. Ihr müßt aber wissen, daß dieses Schloß eines der schönsten, der entzückendsten, der zierlichsten, eines der kunstreichst erbauten Schlösser des reizenden Tourainer Landes ist und sich gleich einem fürstlichen Liebchen in der Indre badet bis auf den heutigen Tag, geschmückt mit hochbogigen Fenstern und Altanen, wie Spitzen gearbeitet, mit stolzen Kriegern auf den Türmen, die sich als Wetterfahnen drehen, weil sich nichts so leicht nach dem Winde dreht wie ein Kriegsmann. Dennoch war es noch nicht ganz vollendet, als der gute Semblancay gehängt wurde, auch hat sich niemand seither gefunden, der genug Taler gehabt hätte, um es vollends auszubauen. Das Schloß hat trotzdem den König Franz, den Ersten dieses Namens, als Gast beherbergt, und noch heut zeigt man das Zimmer, worin er geschlafen hat. Der gute Semblangay, derselbe, der später gehängt wurde, erfreute sich der Gnade, vom König nicht anders als ›mein Vater‹ angeredet zu werden, so ehrwürdig war sein Aussehen im Schmuck seiner weißen Haare. Als nun der König, den der Baron von Semblançay zärtlich liebte, sich damals anschickte, schlafen zu gehen, sagte er zu seinem Wirt, da eben die Schloßglocke Mitternacht schlug:
    »Es scheint, daß Eure Uhr zwölf schlägt, mein Vater.« »Ach, königlicher Herr«, antwortete der königliche Säckelmeister und

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