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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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der guten alten Zeit. Höret also! Ich bringe die Schriftstücke in der Ordnung, in der ich sie vorgefunden; nur habe ich sie mir auf meine Weise zurechtgemacht, denn die Originale waren in einem teufelsmäßig brenzligen Stil abgefaßt.

     

Der Sukkubus

     
I. Was das war, der Sukkubus
    † In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen.
    Im Jahre nach Unsres Herrn Geburt Eintausendzweihundertundeinundsiebzig. Vor Uns, Hieronymus Cornill, Groß-Pönitentiario und oberstem Strafrichter in kirchlichen Angelegenheiten und Bevollmächtigtem des Kapitels von St-Maurice, der Kathedrale von Tours, sind heut auf Unsre Vorladung, nachdem Wir zuvor Beratschlagung gepflogen mit Unsrem gnädigen Herrn, dem Erzbischof, über die Beschwerden mehrerer Bürger der Stadt, deren Klageschrift unten angefügt ist: sind erschienen einige Edelleute, Bürger und Bauern der Diözese und haben die unten folgenden Aussagen gemacht über die großen Ausschweifungen und Ausschreitungen eines Dämons in Weibsgestalt, der den Seelen der Diözese ein groß und schwer Ärgernis gegeben und in diesem Augenblick festgehalten ist in dem Gefängnis des Kapitels. Und haben Wir darum zur Feststellung und Bekräftigung der Wahrheit am heutigen Montag, dem 11. Dezember, nach der Messe dies gegenwärtige Verhör eröffnet und zu Protokoll gebracht zu dem Zweck und Ende, daß die Aussagen der Geladenen und Augenzeugen dem Dämon zur Beantwortung vorgelegt und das Urteil über ihn gefällt werde kraft Unsrer Gesetze contra daemonios.

     
    Bei diesem Verhör war gegenwärtig und mit der Niederschrift des Protokolls beauftragt der gelehrte Herr Guillaume Tournebouche, Rubrikator im Archiv des Kapitels, ein gelehrter Mann. Und ist als erster vor Uns erschienen ein gewisser Jehan Tortebras, ein Bürger von Tours, der mit obrigkeitlicher Genehmigung die Herberge ›Zum Storchen‹ auf dem Platz bei der großen Brücke hält, und hat, seine rechte Hand auf den heiligen Evangelien, beim Heil seiner Seele geschworen, daß er nichts aussagen wolle, als was er selber gesehen und gehört hat. Er hat dann ausgesagt und bezeugt wie folgt:
    †
    »Ich sage aus, daß ungefähr zwei Tage vor Sankt Johannis, wo wir die Freudenfeuer anzünden, ein Edelmann mich aufsuchte, der mir beim ersten Blick unbekannt vorkam, der aber, wie ich nachher erfuhr, zum Hof des Königs gehörte und vor kurzem aus dem Heiligen Lande zurückgekehrt war. Dieser Edelmann machte mir den Vorschlag, ihm ein mir gehöriges und von mir selber erbautes Landhaus bei Saint-Etienne, das dem Kapitel zinspflichtig ist, zur Miete zu überlassen, und hat dieser Edelmann besagtes Landhaus für die Dauer von neun Jahren in Pacht genommen und dafür drei gute goldene Pfennige hinterlegt, worauf er mit einem sehr schönen Weibsbild, das ihm zu gehören schien, sich dort eingerichtet hat.

     
    Dieses Luder hatte ganz das Aussehen einer leibhaftigen Frau, war nach sarazenischer und mohammedanischer Mode gekleidet, hatte einen seltsamen Kopfputz aus bunten Federn, eine unnatürliche Hautfarbe und Augen, die so verzehrend brannten wie das höllische Feuer, was ich alles nur in einem kurzen Augenblick wahrnehmen konnte, da der edle jetzt verstorbene Herr, mein Mieter, niemand dieser schönen Zauberin weiter, als eine Armbrust trägt, nahe kommen ließ und jeden mit dem Tode bedrohte, der es sich einfallen lassen sollte, an besagtes Haus auch nur von ferne zu schnüffeln. So habe ich aus großer Furcht mich ferngehalten und habe bis zum heutigen Tage meine Vermutungen und Zweifel über die seltsame Frauensperson, die so schön war, wie ich nie etwas Ähnliches gesehen, in meinem Innern verwahrt.
    Gegenüber den Reden gewisser Leute von allerlei Herkunft, welche behaupten, der edle Herr sei überhaupt schon tot gewesen und nur durch Salben, zauberische Tränklein und teuflische Hexereien von diesem Satan, der in Weibsgestalt unser Land heimsuchen wollte, bei einem künstlichen Leben erhalten worden, erkläre ich hiermit, daß ich den edlen Herrn immer so bleich gesehen, daß ich seine Gesichtsfarbe nur mit der Farbe einer Osterkerze vergleichen konnte. Wie alle meine Leute in der Herberge ›Zum Storchen‹ wissen, hat man den Ritter neun Tage nach seiner Ankunft begraben. Nach Aussage seines Stallmeisters ist der Verstorbene vor seinem Tode ohne Unterbrechung volle sieben Tage in der Verkuppelung mit der genannten Mohrin verharrt, und ich selber habe das Geständnis dieser Scheußlichkeit, als ihm schon der

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