Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
um der Vermählung der schönen Tinette beizuwohnen. Die Königin hatte ihr das Hochzeitskleid geschenkt, und der König verlieh ihr die ganz besondere Gnade, alle Tage des Jahrs goldene Ohrringe tragen zu dürfen. Als das schöne Paar die Abtei verließ und in dem Hause des Goldschmieds, der nun Leibeigener geworden war, seinen Einzug hielt, sah man in den Straßen alle Fenster beleuchtet, und Tausende von Menschen bildeten Reihe, wie wenn es der König gewesen wäre. Der arme Ehemann hatte sich selber ein silbernes Armband an seinen linken Arm geschmiedet und trug es als Zeichen seiner Abhängigkeit von dem Kloster zu Saint-Germain. Aber wenngleich er nur ein leibeigener Mann war, rief das Volk »Heil! Heil!« wie bei der Verkündigung eines neuen Königs. Und der Gevatter grüßte mit viel Anstand, er war glücklich, wie nur ein Verliebter sein kann, und hocherfreut über die Huldigungen, die man der Anmut und Bescheidenheit seiner jungen Frau entgegenbrachte. Vor seinem Hause fand der gute Tourainer einen Kranz von grünen Zweigen und Kornblumen über seiner Tür, und die vornehmsten Meister des Stadtviertels waren versammelt; Musik ertönte zu seinem Empfang, und der Zunftmeister rief: »Ihr werdet immer ein edler Mann sein, der Abtei zum Trotz.«
Wie die beiden nun ihr Glück genossen, könnt ihr, verständnisinnige Leser, euch selber ausmalen; ich kann euch nur so viel sagen, daß das Kampfspiel heftig war, bei dem das gute Kind vom Lande die Ausfälle des Mannes gut parierte, und daß die beiden einen Monat in Freuden hinlebten wie zwei Turteltauben, die im Frühling Reis um Reis ihr Nest bauen. Recht wie in einem solchen warmen Nest fühlte sich Tinette in dem schönen Hause, und wenn sie gewahrte, wie sie von den Kunden, die ab und zu gingen, angestaunt und bewundert wurde, da kannte ihr Glück keine Grenzen.
Als nun die Flitterwochen vorüber waren, da kam eines Tages in großem Pomp der gute alte Abt Hugo, ihr Herr und Meister, in das Haus, das jetzt nicht mehr dem Goldschmied, sondern dem Kloster gehörte. Er hielt dem überraschten Ehepaar folgende Rede: »Meine Kinder«, sagte er, »ihr seid frank und frei und losgesprochen von allem, auch muß ich euch sagen, daß ich vom ersten Anfang an von eurer Liebe zueinander aufs tiefste gerührt war. Die Gesetze und Gerechtsame der Abtei mußte ich wahren und hochhalten; aber nun, da ihr vor dem Altar des Allerhöchsten eure Unterwerfung unter das Gesetz feierlich kundgetan, hindert mich nichts mehr, euch ganz glücklich zu machen. Nicht einen Silberling soll euch eure Freimachung kosten.«
Als der Abt so gesprochen, gab er jedem von beiden einen leisen Backenstreich, sie sanken in die Knie, heiße Freudentränen rannen ihnen über die Wangen, und das aus guten Gründen. Dann riß der Tourainer das Fenster auf und machte dem Volk, das zusammengeströmt war, die Mitteilung von dem großmütigen Geschenk und seiner Begnadigung durch den guten Abt Hugo. Unterdessen schickte dieser sich an, seine Stute wieder zu besteigen; da griff Meister Anselm nach den Zügeln und schritt in großer Ehre neben dem Abte her bis zum Stadttor. Er hatte sich eine Tasche mit Silbermünzen umgehängt, und auf dem ganzen Wege warf er Geld unter die Armen und Notleidenden, indem er ausrief: »Gnade und Barmherzigkeit Gottes! Gott schütze und segne den Abt! Es lebe der gnädige Herr Hugo!«
In sein Haus zurückgekehrt, bewirtete er alle seine Freunde und machte von neuem Hochzeit. Diese dauerte eine ganze Woche. Der Abt aber wurde von seinem Kapitel für seine Gnade und Freigebigkeit nicht wenig ausgescholten. Denn diesen Mönchen war schon das Wasser im Munde zusammengelaufen beim Gedanken an den fetten Bissen aus dem Hause des reichen Goldschmieds. Und als ein Jahr darauf der gute Hugo krank wurde, verfehlte sein Prior nicht, ihm zu Gemüte zu führen, daß dies eine Strafe des Himmels sei dafür, daß er ein ungetreuer Verwalter war an der Sache Gottes und des Klosters.
»Ich müßte mich in dem Manne sehr irren«, antwortete der Abt, »wenn er sich nicht daran erinnerte, was er uns schuldig ist.«
Das war aber gerade der Jahrestag der Hochzeit, und ein Mönch, der in die Zelle trat, meldete, draußen sei der Goldschmied und bitte um eine Unterredung mit seinem Wohltäter. Bald darauf erschien Meister Anselm in dem Gemach und enthüllte vor den Augen des Abts zwei wunderbare Gebetsrahmen, wie sie von keinem Meister der Christenheit je schöner gemacht worden sind und die
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