Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
in ihrer Haltung, daß der Goldschmied ganz starr wurde vor Erstaunen und der Kämmerer gestehen mußte, niemals eine so vollkommene Kreatur gesehen zu haben. Er bedachte, daß dieser Anblick dem armen Goldschmied allzu gefährlich sei. Darum beeilte er sich, den guten Mann ohne Vorschub in die Stadt zurückzubringen, und redete ihm zu, sich die Sache sehr zu überlegen, da doch der Abt niemals zugeben würde, daß ein so feiner Lockvogel, auf den Bürger und Edelleute hineinfallen, aus dem Käfig der Abtei entweiche.
Und wirklich tat das Ordenskapitel dem armen Verliebten kund und zu wissen, daß, wenn er das Mädchen heirate, er sich entschließen müsse, Haus und Hof der Abtei zu überlassen und sich mit allen seinen Kindern, die aus dieser Ehe kämen, als Leibeigener des Klosters zu betrachten, doch solle er durch eine ganz besondere Gnade des Abts fernerhin in seinem Hause wohnen dürfen unter der Bedingung, daß er dafür und für alles, was sich darin befand, dem Kloster Zins zahlte und alljährlich acht Tage eine Gesindestube im Kloster bezöge zum Zeichen und zur Bestätigung seiner Dienstbarkeit.
Da erkannte der Goldschmied, dem alle Welt die bösartige Hartnäckigkeit der Mönche in grellen Farben schilderte, daß der Abt seinen Beschluß unverbrüchlich aufrechterhalten werde. Er geriet darüber in einen Zustand heller Verzweiflung. In seiner Desperation wollte er bald das Kloster an allen vier Ecken anzünden, bald den Abt an einen bequemen Ort locken und ihn so lange durchbleuen, bis er den Freibrief für Tinette unterzeichnen würde, und so tausend Phantastereien, die alle in Rauch aufgingen. Zuletzt aber, nach vielem Schmerz und Jammer, faßte er den festen Entschluß, das Mädchen zu entführen und sich mit ihr in ein Land zu flüchten, wo ihn selbst der lange Arm des Abts nicht erreichen sollte. In diesem Sinne traf er seine Vorbereitungen. Denn er dachte, wenn er nur einmal außerhalb des Königreichs sei, könnten seine Freunde und der König die Mönche leichter zur Vernunft bringen. Der Mann machte aber seine Rechnung ohne den Wirt, das heißt ohne den Abt, denn wie er sich nun auf die Lauer legte nach seinem Schatz, bekam er von Tinette auch nicht das kleinste Zipfelchen zu sehen, sondern hörte, wie man sie in der Abtei in strengstem Gewahrsam hielte, daß er das Kloster hätte erstürmen müssen, um ihrer habhaft zu werden. Da kannte erst die Verzweiflung des Meisters Anselm keine Grenzen mehr, und er brach bald in lautes Wehklagen, bald in fürchterliche Flüche aus. So kam es, daß in der ganzen Stadt die Hausväter und Hausmütter von nichts anderem mehr sprachen als von diesem seltsamen Abenteuer, derart, daß das Gerücht sogar vor die Ohren des Königs kam.
Dieser ließ den greisen Abt an seinen Hof entbieten und machte ihm ernsten Vorhalt darüber, daß er sich von der großen und außerordentlichen Liebe des Goldschmieds in seinem harten Sinn nicht erweichen ließ, um an Stelle des unbeugsamen Rechts die christliche Milde und Gnade walten zu lassen.
»Aber wißt Ihr nicht, allergnädigster Herr«, antwortete der Priester, »daß alle Rechte so ineinander gefügt und verhäkelt sind wie die einzelnen Teile einer Rüstung, so zwar, daß, wenn man ein Stück herausnimmt, das Ganze allen Halt und alle Festigkeit verlieren muß! Wenn man uns dieses Mädchen nehmen dürfte gegen unsern Willen und unser Recht, was sollte Eure Untertanen hindern, Euch die Krone vom Kopf zu reißen und in heller Empörung sich gegen Abgaben und Frondienste aufzulehnen, die das gemeine Volk vor allem drücken?«
Der schlaue Abt wußte nicht nur einem Kämmerer, sondern auch einem König das Maul zu stopfen.
Und da war nun jeder aufs äußerste begierig, was für einen Verlauf die Sache nehmen werde. So groß war die allgemeine Teilnahme, daß sogar Wetten eingegangen wurden. Die Herren wetteten darauf, daß der Tourainer seine Liebe aufgeben werde, die Damen das Gegenteil.
Da kam der Goldschmied auf den Gedanken, sich der Königin zu Füßen zu werfen und ihr weinend zu klagen, daß ihm die Mönche nicht einmal den Anblick seiner Geliebten gönnten; er rührte so sehr das Herz der hohen Frau, daß sie ihm versprach, sich ins Mittel zu legen. Und in der Tat erwirkte sie vom Herrn Abt die Erlaubnis, daß der Tourainer täglich an das Sprechgitter des Klosters kommen durfte, wo Tinette alsdann erschien, doch immer in Begleitung eines alten Mönches. Und immer erschien sie in festlichem Anzug wie eine große
Weitere Kostenlose Bücher