Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
sorgfältig gearbeitet, so reich an Gold und Edelgestein, geziert mit geflügelten Engeln und andern heiligen Figuren, daß es in der ganzen Christenheit keine schönere geben soll. Ganz einzig in ihrer Art soll sie sein, daß sich Euer Auge erfreut, wenn Ihr sie anseht; sie soll ein ewiger Ruhm sein für Euren Altar, und aus der Stadt und von weither sollen die Menschen zusammenströmen, um sie zu sehen: ein solches Wunder der Kunst soll sie sein.«
»Mein Sohn«, antwortete der Abt, »Ihr wißt nicht, was Ihr redet. Wenn Ihr entschlossen seid, dieses Mädchen in rechtlicher Ehe zu heiraten, so seid Ihr damit auf ewige Zeit der Abtei verfallen, Ihr mit allen Euren Gütern und Nachkommen.«
»Oh, hochwürdiger Herr, ich bin dem Mädchen in aufrichtiger Liebe zugetan und bin mehr gerührt von seiner Armut und seinem christlichen Herzen als von seinen körperlichen Vorzügen; aber« – dem Armen traten die Tränen in die Augen – »noch größer als meine Liebe ist mein Erstaunen über Eure Härte. Das sage ich Euch, obwohl ich weiß, daß mein Schicksal in Euren Händen liegt. Ja, ehrwürdiger Herr, ich kenne das Gesetz. Meine Güter können in Eure Gewalt kommen, ich kann Euer Leibeigener werden, ich kann mein Haus und mein Bürgerrecht verlieren; aber was ich durch meine Mühen und Studien gewonnen habe, meine Kunst, die hier liegt« – er deutete dabei auf seine Stirn –, »an sie kann außer Gott und mir selber niemand in der Welt ein Herrschaftsrecht beanspruchen, und die reichen Schöpfungen, die daraus hervorgehen, Ihr könnt sie mit Eurer ganzen Abtei nicht bezahlen. Mein Leib, mein Weib, meine Kinder können Euch verfallen, aber kein Gesetz der Welt kann Euch meine Kunst zusprechen, durch keine Tortur der Welt könnt Ihr in deren Besitz kommen, denn ich bin stärker, als das Eisen hart, und geduldiger, als der Schmerz groß ist.«
Als der Goldschmied so gesprochen hatte, ergriff ihn eine ungeheure Wut über die kühle Ruhe des Abts, der entschlossen schien, die Dukaten des guten Meisters seinem Kloster nicht entgehen zu lassen; er schlug mit seiner Faust auf einen eichenen Stuhl, der vor ihm stand, und zersplitterte ihn, wie wenn der große Schmiedehammer darauf niedergesaust wäre, in tausend Stücke. »Seht, ehrwürdiger Herr«, sprach er, »was Ihr für einen Knecht gewinnen werdet! Aus einem Schöpfer göttlich schöner Dinge ein Lasttier zu machen, das ist alles, was Ihr könnt.«
»Mein Sohn«, antwortete der Abt, »Ihr tut sehr unrecht, mir meine Stühle zu zerbrechen, und unrecht tut Ihr auch, meine Seele so obenhin zu beurteilen. Dieses Mädchen ist Eigentum der Abtei, nicht mein persönliches Eigentum; ich aber bin von diesem glorreichen Kloster aufgestellt, ein getreuer Verwalter und Anwalt seiner Satzungen und Gerechtsame zu sein. Wenn ich nun auch diesem leibeigenen Weibe die Freiheit geben kann, freie Kinder zu gebären, so habe ich doch darüber Gott und der Abtei Rechenschaft abzulegen. Wisset darum, daß, seitdem hier ein Altar steht und seitdem es hier Leibeigene und Mönche gibt, id est seit undenklichen Zeiten, es niemals erhört worden, daß ein freier Bürger durch Heirat mit einem leibeigenen Mädchen Eigentum der Abtei geworden wäre. Also ist es erforderlich, genau zu handeln wie es rechtens, und das Recht durch den Brauch zu festigen, daß es nicht geschwächt werde und in Verfall gerate, ja, auch nicht eines Haares Breite davon verlorengehe, woraus unabsehbare Verwirrung entstehen müßte. Das ist alles für den Staat und die Abtei eine unendlich wichtigere Sache als Eure Monstranzen, so schön sie sein mögen, denn um Juwelen und Kostbarkeiten zu kaufen, besitzen wir einen genügenden Schatz; aber kein Schatz der Welt ist imstande, Bräuche und Gerechtsame gültig aufzustellen. In diesem Punkt berufe ich mich auf den hier gegenwärtigen Kämmerer des Königs, der täglich Zeuge ist, welche unendliche Mühe und Arbeit unser gnädiger Herr fortwährend auf sich nimmt, um seinen Gesetzen und Verordnungen Festigkeit und Bestand zu verleihen.«
›Aha‹, dachte der Kämmerer bei sich, ›damit soll mir der Mund gestopft werden.‹
Der Goldschmied war kein großer Rechtskundiger, er schwieg nachdenklich. Unterdessen trat Tinette ein, blank gescheuert wie ein zinnerner Teller, die Haare fein aufgesteckt, das weiße linnene Gewand mit einem blauen Gürtel zusammengehalten, die Füße mit weißen Strümpfen und zierlichen Schuhen bekleidet, kurz, so königlich schön, so vornehm
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