Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
Dame. Den beiden Liebenden wurde nichts weiter erlaubt, als sich zu sehen und zu sprechen ohne ein Haar darüber hinaus, und ihre Liebe wuchs darum nur um so mehr.
Eines Tages sprach Tinette also zu ihrem Geliebten: »Mein teurer Herr, ich habe bei mir beschlossen, Euch mein Leben zum Geschenk zu machen, daß Ihr Trauer und Kummer ablegen sollt. Höret mich an, ich habe mich über alles wohlunterrichtet und habe ein Mittel gefunden, die Gesetze der Abtei zu umgehen und Euch alles Glück zu geben, das Ihr von meinem Besitz erwartet. Der geistliche Richter hat mir erklärt, daß Ihr, als nicht in der Leibeigenschaft geboren, sondern nur darein verfallen durch eine besondere Ursache, auch wieder davon frei werden müßt, sobald die Ursache, die Euch in die Dienstbarkeit zwingt, nicht mehr vorhanden ist. Wenn Ihr mich also liebt über alles in der Welt, gebt all Euer Gut daran, mich zu erwerben und zu ehelichen; dann besitzet mich zu Eurem Glück, erfreut Euch meiner, soviel es Euch gefällt. Doch bevor ich Euch Nachkommen bringen werde, will ich mich freiwillig töten, und mein Tod wird Euch die Freiheit geben. Bei diesem Handel werdet Ihr den König, unsern gnädigen Herrn, der Euch überaus wohlwill, wie man sagt, auf Eurer Seite haben, und mir, daran zweifle ich nicht, wird Gott meinen Tod in Gnaden verzeihen, weil ich damit meinem Herrn und Gemahl die Freiheit schenke.«
»Meine liebe Tinette«, rief der Goldschmied, »darüber kein Wort mehr, ich will leibeigen werden, und du sollst leben und mein Glück und meine Freude sein bis an das Ende meiner Tage. Wenn du bei mir bist, sollen die schwersten Ketten mich nicht drücken, und wenig soll es mich anfechten, daß ich keinen Pfennig mein eigen nenne; denn ein größerer Reichtum als alle Reichtümer der Welt ist dein Herz, und kein höheres Gut wüßte ich auf Erden als deinen süßen Leib. Großes Vertrauen setze ich in den heiligen Eligius, er wird sich in seiner Gnade und Barmherzigkeit uns. zuwenden und vor dem Schlimmsten bewahren. Noch zu dieser Stunde will ich zu einem Schreiber gehen, um Brief und Vertrag aufsetzen zu lassen. Und dessen sei sicher, du Blume meines Lebens: da uns der Abt lassen muß, was ich mit meiner Kunst fortan verdiene, sollst du besser wohnen, vornehmer gekleidet und aufmerksamer bedient sein als eine Königin.«
Tinette lachte und weinte zugleich, sie wehrte sich gegen ihr Glück und wollte durchaus sterben, um einen freien Mann nicht in die Dienstbarkeit zu bringen; aber der gute Anselm gab ihr so liebe Worte und drohte zuletzt, ihr in das Grab nachzufolgen, daß Tinette sich endlich fügte und zur Heirat bereit erklärte, weil sie dachte, daß sie sich nach dem Glück der Liebe jederzeit töten könne.
Als es in der guten Stadt Paris bekannt wurde, daß der Tourainer sich den Forderungen des Abts unterwerfen und lieber auf seine Habe und seine Freiheit als auf seine Geliebte verzichten wolle, wurde er wie ein Mirakel angestaunt, und jedermann wollte sich das Meerwunder ansehen. Die Damen des Hofes kauften zu diesem Zwecke mehr Juwelen, als sie tragen konnten. Bis zum Überdruß überliefen ihn die Frauen, und jetzt hätte er sich schadlos halten können für die Zeit, da er ihrer gänzlich beraubt war. Aber wenn auch einige an Schönheit seiner Tinette glichen, hatte doch keine ihr goldenes Herz.
Indem nun der Tag der Sklaverei und der Liebe immer näher kam, nahm Anselm all sein Gold und formte eine königliche Krone; darein setzte er alle Perlen und Diamanten, die er besaß. Diese Krone übergab er in einer geheimen Audienz der Königin, indem er also sprach:
»Allergnädigste Frau, hier ist mein bestes Hab und Gut, ich weiß nicht, wem ich es vertrauen soll. Was man morgen noch in meiner Wohnung findet, wird den verdammten Mönchen anheimfallen, die ohne Nachsicht und Barmherzigkeit gegen mich waren. Wollet darum gnädigst geruhen, mir diesen Schatz zu bewahren. Er ist ein schwacher Dank für das Glück, das Ihr mir verschafft habt, die zu sehen, die ich liebe; denn ein einziger Blick von ihr ist mehr wert als alle Schätze der Erde. Ich weiß nicht, was mein Schicksal sein wird; aber meine Kinder, die vielleicht einst frei werden, empfehle ich Eurer königlichen Großmut.«
»Das habt Ihr wohl gesprochen, Gevatter«, antwortete freundlich der König. »Gewiß kommt einmal der Tag, wo der Abt mich nötig haben wird, dann will ich ihn an Euch erinnern.«
Die Abtei konnte kaum die Menschen alle fassen, die herbeiströmten,
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