Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
lautet: Es lebe das Leben! Ein schönes Wort, bei Gott. Aber einige Skribler haben seinen Sinn verkehrt, als welcher kein anderer sein kann als das: Das ist das Leben, packt es am Schopf, wenn es euch nicht entwischen soll! Diesen Sinn hat Meister Rabelais dem Autor verraten. Also hinweg, Philisterpack! Einen Tusch, Musikanten! Und still da, ihr Griesgrame! Ihr lustigen Gesellen aber, herbei! Herbei, ihr verliebten Pagen, gebt der Dame die Hand, nicht ohne sie zu kitzeln, wo sie hohl ist. Die Hand natürlich. Ihr lacht? Ja, das ist scholastische und peripatetische Philosophie, oder der Autor hat niemals seinen Aristoteles gelesen. Auf seiner Seite steht Frankreich mit der königlichen Standarte, auf seiner Seite der Patron des Landes, der große heilige Dionysius, der mit abgeschlagenem Kopf noch ausgerufen hat: »Es lebe das Leben!« Wollt ihr behaupten, ihr Rhinozerösser, dies sei eine Fälschung? Ihr werdet euch hüten! Viele zu jener Zeit haben das Wort gehört; aber wer glaubt noch an die Heiligen in unsern traurigen Tagen?«
Der Autor hat noch lange nicht alles gesagt. Wisset also, die ihr diese Geschichten lest mit Händen und Augen und auch mit dem Verstand und sie liebt, weil sie euch eine Lust und Freude sind, wisset, daß der Autor eines schlimmen Tags seine Axt, id est seine Erbschaft, verloren hatte und, da er sie nicht wiederfinden konnte, sich in großer Not und Bedrängnis sah. Er tat also wie jener Holzhacker in dem Prolog seines verehrten Meisters Rabelais und sandte seine flehenden Schreie zum Himmel, um von Dem dort oben, der der Herr über alle Dinge ist, gehört zu werden und eine neue Axt zu erhalten. Hatte aber der Allerhöchste gerade alle Hände voll zu tun mit den Kongressen und Konzilien der Zeit und ließ darum in der Eile dem Autor von dem Herrn Merkur ein doppeltes Tintenfaß herunterschmeißen, auf dem nach der Art der Devisen folgende drei Buchstaben eingegraben waren: AVE. Da war der arme Kerl erst recht übel daran; denn er konnte sich nicht denken, zu was Rat und Hilfe das Ding gut sein könnte. Drehte er also das seltsame Zwillingsfäßlein um und um, ob er hinter seinen geheimen Sinn gelangen und in den geheimnisvollen Buchstaben eine Seele zu finden vermöchte. Er erkannte aus dem Geschenk so viel, daß Gott ein höflicher Mann ist, wie die großen Herren zu sein pflegen, um wieviel mehr Er, der Fürst der Welt, der König aller Könige. Aber indem der Autor nun seine Jugend überdachte, konnte er nicht finden, dem lieben Gott je einen besonderen Gefallen getan zu haben, also daß er nicht ohne Grund den Verdacht hegte, es möchte auch hinter der göttlichen Höflichkeit nicht viel versteckt sein. Wenigstens strengte er sich vergeblich an, in dem himmlischen Werkzeug irgendeine Nützlichkeit zu entdecken. Aber wie er das genannte doppelte Tintenfaß immer wieder um und um drehte, betrachtete und betastete von allen Seiten, mit dem Fingerknöchel dran pochte, ob es ihm Antwort geben möchte, es füllte und wieder ausleerte, es bald auf die eine, bald auf die andre Seite legte, bald auf den Fuß, bald auf den Kopf stellte: da las er einmal zufällig die drei Buchstaben in umgekehrter Folge. Er las EVA.
Was will aber Eva anders heißen als alle Frauen, vorgestellt in einer einzigen Frau, alle Weiber in einem einzigen Weibe. Es war demnach durch die göttliche Stimme dem Autor gesagt worden: »Denk an das Weib; das Weib wird deine Wunde heilen und deine leeren Taschen füllen, das Weib ist dein Gut, dein Vermögen. Habe nur eine Frau, hätschle und tätschle sie, ziehe sie schön an, um sie noch schöner auszuziehen, treibe einen Kultus mit dieser Frau. Das Weib ist alles, sie ist ein Abgrund, schöpfe aus diesem Abgrund. Das Weib liebt die Liebe, gib ihm Liebe aus deinem Tintenfaß, schmeichle seinen Phantasien und male ihm die tausend Gestalten der Liebe in ebenso vielen reizenden Bildern. Die Frauen sind großmütig, sie stehen eine für alle und alle für eine, sie werden dir deine Gemälde lohnen und dafür sorgen, daß dein Pinsel nicht kahl wird. Und also verstehe, was geschrieben steht: Ave, das heißt Heil; Eva, das heißt das Weib; also: dein Heil im Weibe. In der Tat ist das Weib zugleich unser Heil und unser Unheil.
So sei mir willkommen, Tintenfaß. Was liebt aber das Weib am meisten? Was will das Weib? Alle Dinge, die mit der Liebe zusammenhängen, und so ist es recht. Das Weib ist das Symbol der Natur. Fruchtbarkeit ist ihr Beruf. Lieben, zeugen, hervorbringen ist
Weitere Kostenlose Bücher