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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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beschäftigte er sich stets nur mit einer Sache. Seine Rede war sanft wie die einer Ehefrau vor der Hochzeit. Obwohl Pfaffen und Kriegsleute seine Gelehrsamkeit nicht gelten lassen wollten, verstand er sehr gut das Latein seiner Mutter und sprach es fehlerlos, ohne sich darum bitten zu lassen. Die Pariser hatten ihn nach und nach gelehrt, geradeaus zu gehen, kein Wasser für andre Leute zu schöpfen, seine Ausgaben mit der Elle seiner Einnahmen zu messen, niemand zu erlauben, sich aus seinem Leder Riemen zu schneiden, überall seine Augen offenzuhalten, niemals dem Inhalt einer verschlossenen Kiste zu trauen, nicht leicht zu sagen, was er tat, oder zu tun, was er sagte, nichts von sich zu lassen als sein Wasser, ein besseres Gedächtnis zu haben als die Spatzen, seinen Kummer für sich zu behalten und auch sein Halleluja, auf der Straße nicht nach den Wolken zu sehen und seine Juwelen teurer zu verkaufen, als sie ihn selber gekostet hatten: lauter Dinge, deren kluge Befolgung ihm Weisheit genug eintrug, um bequem und zufrieden leben zu können.

     
    Also tat er und war auch darauf bedacht, daß er niemand lästig falle. Die Leute aber, die sahen, wie weise er sich das Leben eingerichtet, beneideten ihn, und manch einer sagte: »Bei Gott, ich möchte dieser Goldschmied sein, und sollte ich auch dafür hundert Jahre lang bis über die Knie im Kot von Paris waten müssen.« Aber ebensogut hätte sich einer wünschen können, König von Frankreich zu sein; denn der Goldschmied hatte ein paar Arme wie nicht leicht einer, feste, nervige, haarige Arme und von so erstaunlicher Härte, daß, wenn er die Faust ballte, sein stärkster Gesell sie ihm auch mit einer Beißzange nicht zu öffnen vermocht hätte. Ihr könnt euch denken, daß er nicht leicht fahrenließ, was er einmal festhielt. Zähne hatte er, um Eisen zu kauen, einen Magen, um es zu verdauen, Gedärme, um es aufzusaugen, und einen Sphinkter, um gefahrlos die Schlacken weiterzubefördern – überdies ein paar Schultern, um sich gegen die ganze Welt zu stemmen, gleich jenem alten Heiden, der ehemals dieses Amt hatte, bis die Ankunft unsres Herrn und Heilands ihn, es war höchste Zeit, davon befreite. Die Wahrheit zu sagen, war das ein Mann so recht aus dem Groben gehauen. Das ist immer die beste Art Mensch und ist mehr wert als die, an denen die Natur allzuviel gebosselt hat und die aus allzu feinen Stücken zusammengesetzt sind. Kurz, Meister Anselm war in der Wolle gefärbt, er hatte ein Gesicht wie ein Löwe, und in seinen Augen brannte ein Feuer, worin er sein Gold hätte schmelzen können, wenn ihm die Glut auf der Esse einmal ausgegangen wäre. Aber ein Etwas in diesen Augen, von der gütigen Mutter Natur hineingelegt, milderte dieses Feuer, ansonst sie alles verbrannt hätten. Und nun sagt, ob das nicht ein Mordskerl war von einem Menschen.
    Doch nach Aufzählung dieser Musterchen von Kardinaltugenden möchten einige vielleicht noch immer fragen, warum der gute Goldschmied wie eine Auster lebte, nämlich als Zölibatär und Junggesell, und also die reichen Gaben der Natur in so vielem Betracht ungenutzt ließ. Aber wissen diese hartnäckigen Frager, was es heißen will zu lieben? Hollala, sie wissen es keineswegs.
    Das Amt eines Verliebten ist, zu kommen und zu gehen, zu horchen und aufzupassen, zu reden und zu schweigen, sich niederzuducken und sich hoch aufzurichten, vor allem sich klein zu machen, sich zu einem Nichts zu machen. Sein Amt ist, angenehm zu sein und Geduld zu üben, zu musizieren und verliebte Verse zu machen, Blumen unter dem Schnee zu suchen, den Mond anzuschwärmen, den Hund und die Katze des Hauses zu streicheln, der Tante über ihren Schnupfen und über ihre Gicht angenehme Sachen zu sagen, der ganzen Verwandtschaft zu schmeicheln, niemand auf die Hühneraugen zu treten, Grillen einzufangen, Mohren weiß zu waschen, Nichtigkeiten zu plappern, der Dame den Spiegel vorzuhalten und über ihren Putz in Ekstase zu geraten, alles das in tausenderlei Wiederholungen. Sein Amt ist, geschniegelt und gebügelt zu sein wie ein Höfling, klug und launig zu sein in seiner Rede, lachend alle Teufeleien hinzunehmen, all seinen Zorn hinunterzuschlucken, seinem Temperament die Zügel anzulegen und den Finger Gottes und den Schwanz des Teufels zugleich in der Hand zu haben. Sein Amt ist, die Mutter, die Base, die Zofe in guter Laune zu erhalten, unter allen Umständen, auch wenn es ihm nicht ums Herz ist, die liebenswürdigste Miene aufzustecken und

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