Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
Schwerttänzer!«
»Ich bin nicht so leicht zu töten. Sag das auch deinen jungen Männern.«
»Wie du wünschst.« Der Anführer erhob sich, um das Zelt zu verlassen, blieb aber am Ausgang noch einmal stehen. »Bist du nach Hause gekommen, um zu herrschen?«
»Ich bin nach Hause gekommen.«
»Ich habe es satt, Keista zu sein«, sagte der Mann.
»Meine Reise ist gefährlich«, erwiderte Tenaka. »Wie du sagst, Sattelschädel wird meinen Tod wünschen. Und du hast nur wenige Männer.«
»Im bevorstehenden Krieg werden wir ohnehin von der einen oder anderen Seite vernichtet«, sagte der Mann. »Aber du – du hast etwas von einem Adler an dir. Ich werde dir folgen, wenn du willst.«
Tenaka überkam eine tiefe Ruhe. Ein innerer Friede schien aus der Erde zu seinen Füßen zu strömen, von den fernen blauen Bergen; er schien in dem langen Gras der Steppe zu wispern. Tenaka schloß die Augen und öffnete seine Ohren der Musik der Stille. Jeder Nerv seines Körpers schien angespannt, als das Land zu ihm sprach.
Zu Hause!
Nach vierzig Jahren erfuhr Tenaka Khan, was dieses Wort bedeutete.
Er schlug die Augen auf. Der Anführer stand ganz still da und beobachtete ihn. Er hatte schon oft Männer in einem Zustand der Trance gesehen, und immer verspürte er Ehrfurcht, aber auch Trauer darüber, daß ihm diese Erfahrung versagt blieb.
Tenaka lächelte. »Folge mir«, sagte er, »und ich gebe dir die Welt.«
»Werden wir dann Wölfe sein?«
»Nein. Wir sind die Kommenden Nadir. Wir sind der Drache.«
Gegen Morgengrauen saßen die vierzig Männer der Keista bis auf drei Wachen in zwei Reihen vor Tenakas Zelt. Hinter ihnen saßen die Kinder, achtzehn Jungen und drei Mädchen. Zum Schluß kamen die Frauen, zweiundfünfzig an der Zahl.
Subodai stand etwas abseits, verblüfft von dieser neuen Wendung der Ereignisse. Das machte doch keinen Sinn! Wer wollte denn am Vorabend eines Bürgerkriegs einen neuen Stamm gründen? Und was konnte Tenaka schon mit dieser schäbigen Bande von Ziegenzüchtern gewinnen? Das alles ging über den Verstand des Speerkriegers. Er schlenderte zu einem leeren Zelt und bediente sich mit weichem Käse und einem Laib kräftigen schwarzen Brotes.
Was spielt das alles für eine Rolle?
Wenn die Sonne hoch stand, würde er Tenaka bitten, ihn freizulassen, dann seine sechs Ponies nehmen und nach Hause reiten. Für vier Ponies konnte er sich eine gute Frau kaufen, und er würde eine Weile in den Bergen im Westen entspannen. Er kratzte sich das Kinn und fragte sich, was wohl mit Tenaka Khan geschehen würde.
Subodai fühlte sich seltsam unbehaglich bei dem Gedanken, davonzureiten. Für ihn gab es nur selten Augenblicke wirklichen Interesses im harten Leben der Steppe. Kämpfen, Liebe, Kinder, Essen. Doch dem, was diese vier Dinge bieten konnten, waren Grenzen gesetzt. Subodai war vierunddreißig Jahre alt und hatte die Speere aus einem Grund verlassen, den keiner seiner Kameraden verstand: Er langweilte sich!
Er trat hinaus in die Sonne. Ziegen liefen am Rand des Lagers herum, dicht bei den angepflockten Ponies, und hoch am Himmel kreiste ein Sperber.
Tenaka trat in den Sonnenschein hinaus und stellte sich vor die Keistas – die Arme über der Brust verschränkt, mit ungerührter Miene.
Der Anführer ging auf ihn zu, fiel vor ihm auf die Knie, verbeugte sich tief und küßte Tenakas Füße. Einer nach dem anderen folgten die Keistas seinem Beispiel.
Renya beobachtete das Schauspiel vom Zelt aus. Die ganze Zeremonie störte sie, wie auch die fast unmerkliche Veränderung, die sie an ihrem Liebsten wahrgenommen hatte.
In der letzten Nacht, als sie zusammen unter den Felldecken lagen, hatte Tenaka sie geliebt. Da waren die ersten, winzigen Funken der Angst in ihr Unterbewußtsein gedrungen. Die Leidenschaft blieb, der Schauer der Berührung, die atemlose Erregung. Aber Renya spürte etwas Neues, Fremdes in Tenaka, das sie nicht deuten konnte. Irgendwo in seinem Innern hatte sich ein Tor geöffnet, und ein anderes war zugeschlagen. Die Liebe war weggeschlossen. Aber was hatte ihren Platz eingenommen?
Jetzt betrachtete sie den Mann, den sie liebte, während die Zeremonie ihren Fortgang nahm. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, wohl aber die Gesichter seiner neuen Anhänger: sie glühten. Als die letzte der Frauen sich zurückzog, drehte Tenaka Khan sich wortlos um und ging zurück in sein Zelt. Da wurden die Funken in Renya zu einem Feuer, denn sein Gesicht spiegelte wider, was er geworden war.
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