Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
gestemmt, und starrte auf den Toten hinab. Dann grinste er die zuschauenden Krieger an und spie aus. Er schob einen Fuß unter den Leichnam und drehte ihn auf den Rücken.
»Das war der beste von euch?« fragte er die Menge. Er schüttelte in spöttischem Kummer den Kopf. »Was soll bloß aus euch werden?«
Tenaka ging zu seinem Zelt und duckte sich unter der Klappe hindurch. Drinnen wartete Ingis auf ihn, der mit überkreuzten Beinen auf dem Fellteppich saß und einen Becker Nyis trank, einen Schnaps, der aus Ziegenmilch gebraut wurde. Tenaka setzte sich dem Kriegsherrn gegenüber.
»Du hast nicht lange gebraucht«, sagte Ingis.
»Er war jung und hatte noch viel zu lernen.«
Ingis nickte. »Ich habe Sattelschädel davon abgeraten, ihn zu schicken.«
»Er hatte keine Wahl.«
»Nein. Und so … bist du hier.«
»Hast du es bezweifelt?«
Ingis schüttelte den Kopf. Er nahm den Bronzehelm ab und kratzte sich die Kopfhaut unter dem schütteren, eisengrauen Haar. »Die Frage ist, Schwerttänzer, was soll ich mit dir anfangen?«
»Macht dir das Sorgen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil ich in der Klemme sitze. Ich möchte dich unterstützen, weil ich glaube, daß du die Zukunft bist. Aber ich kann nicht, weil ich geschworen habe, Sattelschädel zu helfen.«
»Ein haariges Problem«, gab Tenaka Khan zu und schenkte sich einen Becher Nyis ein.
»Was soll ich tun?« fragte Ingis. Tenaka blickte in sein starkes, aufrichtiges Gesicht. Er brauchte nur zu fragen, und der Mann gehörte ihm – er würde seinen Eid gegenüber Sattelschädel brechen und seine Krieger stattdessen auf Tenaka einschwören. Tenaka war versucht, widerstand aber ohne große Mühe. Ingis wäre nicht mehr derselbe, wenn er seinen Eid brach – denn das würde ihn für den Rest seines Lebens verfolgen.
»Heute Abend«, sagte Tenaka, »beginnt die Schamanen-Queste. Diejenigen, die sich um die Führerschaft bewerben, werden erprobt, und Asta Khan wird den Kriegsherrn ausrufen. Das ist der Mann, dem du zu folgen verpflichtet bist. Bis dahin bist du an Sattelschädel gebunden.«
»Und wenn er mir befiehlt, dich zu töten?«
»Dann mußt du mich töten, Ingis.«
»Wir sind doch allesamt Dummköpfe«, sagte der Nadirgeneral bitter. »Ehre? Was weiß Sattelschädel schon von Ehre? Ich verfluche den Tag, an dem ich geschworen habe, ihm zu dienen.«
»Geh jetzt. Denke nicht mehr daran«, befahl Tenaka Khan. »Ein Mann macht nun mal Fehler, doch er kann damit leben. Auch wenn es manchmal Dummheiten sind. Wir sind, was wir sagen, aber nur, solange unsere Worte aus Stahl sind.«
Ingis stand auf und verbeugte sich.
Nachdem er gegangen war, schenkte Tenaka sich seinen Becher noch einmal voll und lehnte sich zurück in die dicken Kissen, die auf dem Teppich verstreut waren.
»Komm raus, Renya!« rief er. Sie trat aus den Schatten des Schlafabteils, setzte sich neben ihn und nahm seine Hand.
»Ich hatte Angst um dich, als der Krieger dich herausforderte.«
»Meine Zeit ist noch nicht gekommen.«
»Er hätte wohl dasselbe gesagt.«
»Ja, aber er hatte unrecht.«
»Und du? Hast du dich so sehr verändert? Bist du jetzt unfehlbar?«
»Ich bin zu Hause, Renya. Ich fühle mich anders. Ich kann es nicht erklären, ich habe noch nicht versucht, es zu durchdenken. Aber es ist wunderbar. Bevor ich herkam, war ich unvollständig. Einsam. Hier bin ich ein Ganzes.«
»Ich verstehe.«
»Nein, das glaube ich nicht. Du glaubst, ich kritisiere dich. Du hörst mich von Einsamkeit reden und wunderst dich. Versteh mich nicht falsch. Ich liebe dich, und du bist für mich eine Quelle steter Freude. Aber mein Ziel war nicht klar, und deshalb war ich, wie die Schamanen mich als Kind immer nannten: der Fürst der Schatten. Ich war ein Schatten in einer Welt steinerner Realität. Jetzt bin ich kein Schatten mehr. Ich habe ein Ziel.«
»Du willst König werden«, sagte sie traurig.
»Ja.«
»Du willst die Welt erobern.«
Er antwortete nicht. »Du hast Ceskas Schreckensherrschaft gesehen und den Wahnsinn des Ehrgeizes. Und jetzt willst du größeres Entsetzen verbreiten, als Ceska sich auch nur träumen läßt.«
»Es muß nicht unbedingt Entsetzen sein.«
»Mach dir doch nichts vor, Tenaka Khan. Du brauchst doch nur einen Blick aus diesem Zelt zu werfen. Das sind Wilde – sie leben, um zu kämpfen … um zu töten. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt mit dir darüber rede. Du bist für meine Worte unerreichbar. Schließlich bin ich nur eine Frau.«
»Du bist meine
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