Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
den Weg, und die Männer blieben stehen. Sechs Paar Augen hefteten sich auf die Wesen, und sie heulten vor Schmerz auf und flohen.
Die Männer gingen weiter. Aus Fenstern, vor die hastig Vorhänge gezogen oder Läden geklappt wurden, beobachtete man sie. Die Marschierenden spürten die Blicke, fühlten, wie Neugier sich in Furcht verwandelte, wenn man sie erkannte.
Sie gingen schweigend weiter, bis sie ans Tor kamen. Dort warteten sie. Nach einigen Sekunden hörten sie das Knirschen, als der Riegel auf der anderen Seite zurückgeschoben wurde, und das Tor schwang auf. Zwei Wächter verbeugten sich, als die schwarzgerüsteten Männer über den Hof und weiter in die fackelerhellten Flure gingen, die von Wachen gesäumt wurden. Alle Augen mieden sie. Am anderen Ende glitten die Türen aus Eiche und Bronze auf. Der Anführer hob die Hand, und seine fünf Begleiter hielten inne, machten auf dem Absatz kehrt und blieben vor der Tür stehen; ihre Hände ruhten auf den Ebenholzgriffen ihrer Schwerter.
Der Anführer nahm den Helm ab und trat in den Raum.
Wie er erwartet hatte, saß Ceskas oberster Minister, Eertik, allein an seinem Schreibtisch. Er sah auf, als der Krieger erschien. Seine dunklen Augen unter den schweren Lidern richteten sich auf den Ritter.
»Willkommen, Padaxes«, sagte er. Seine Stimme klang trocken und leicht metallisch.
»Ich grüße dich, Ratgeber«, antwortete Padaxes lächelnd. Er war groß und hatte ein eckiges Gesicht mit Augen, grau wie der Winterhimmel. Trotz seiner vollen, sinnlichen Lippen war er kein gutaussehender Mann. In seinen Zügen lag etwas Fremdartiges – ein Makel, der schwer zu beschreiben war.
»Der Kaiser braucht eure Dienste«, sagte Eertik. Als er aufstand und um den eichenen Schreibtisch herumging, raschelten seine dunklen Samtgewänder. Padaxes kam dieser Laut wie das Zischen einer Schlange vor, die sich durch trockenes Gras windet. Er lächelte wieder.
»Ich stehe dem Kaiser stets zu Diensten.«
»Das weiß er, Padaxes. Und er weiß auch, daß du seine Großzügigkeit zu schätzen weißt. Es gibt einen Mann, der dem Kaiser Schaden zufügen will. Wir haben gehört, daß er im Norden ist, und der Kaiser wünscht, daß dieser Mann ergriffen oder erschlagen wird.«
»Tenaka Khan«, sagte Padaxes.
Eertik riß vor Überraschung die Augen auf. »Du weißt von ihm?«
»Offensichtlich.«
»Darf ich fragen, woher?«
»Nein.«
»Er ist eine Bedrohung für das Reich«, sagte Eertik, bemüht, seinen Zorn zu verbergen.
»Er ist eine wandelnde Leiche von dem Augenblick an, da ich dieses Zimmer verlasse. Wußtest du, daß Ananais bei ihm ist?«
»Nein«, antwortete Eertik, »obwohl ich jetzt, wo du es sagst, das Geheimnis durchschaue. Ananais wurde wegen seiner Verwundung für tot gehalten. Stellt diese Information ein Problem für deinen Orden dar?«
»Nein. Ob einer, zwei, zehn oder hundert – nichts kann gegen die Templer bestehen. Wir werden morgen früh aufbrechen.«
»Kann ich euch irgendwie helfen?«
»Ja. Schicke in zwei Stunden ein Kind in den Tempel. Ein Mädchen unter zehn Jahren. Es gibt bestimmte religiöse Riten, die durchzuführen sind. Ich muß mit der Macht kommunizieren, die das Universum beherrscht.«
»Es wird geschehen.«
»Unsere Tempelgebäude müssen instand gesetzt werden. Ich habe überlegt, ob wir aufs Land ziehen und dort einen neuen Tempel errichten – etwas größer«, sagte Padaxes.
»Genau die Gedanken des Kaisers«, erklärte Eertik. »Bis zu deiner Rückkehr werde ich einige Pläne entwerfen lassen.«
»Übermittle dem Herrscher Ceska meinen Dank.«
»Das werde ich. Möge eure Reise kurz und eure Rückkehr ruhmreich sein.«
»Wie der Geist es will«, sagte Padaxes und setzte seinen Helm wieder auf.
Von seinem hochgelegenen Turmfenster aus blickte der Abt in die Oberen Gärten hinunter, wo achtundzwanzig Akolyten vor ihren Bäumen knieten. Trotz der Jahreszeit blühten die Rosen; ihr Duft erfüllte die Luft.
Der Abt schloß die Augen und schwang sich empor. Sein Geist stieg auf und schwebte. Sanft ließ er sich in den Garten hinab und kam neben dem schlanken Katan zum Stehen.
Katans Geist öffnete sich, um ihn zu empfangen, und der Abt verband sich mit seinem Schüler und schwamm mit ihm in den grazilen Ästen und den Kapillargefäßen der Pflanze.
Die Rose hieß sie willkommen. Es war eine rote Rose.
Der Abt zog sich zurück und gesellte sich nach und nach zu jedem seiner Akolyten. Nur Balans Rose blühte nicht, doch die
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