Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
und die beiden Männer wanderten zwischen den Pflanzen umher, bis sie schließlich zu der winzigen Hütte kamen, in der Decado wohnte. Der Abt ging um die Hütte herum. »Hast du es hier bequem?«
»Ja, Vater Abt.«
Hinter der Hütte blieb der Abt stehen und betrachtete den winzigen Busch mit der einzelnen Blüte, der dort wuchs.
»Und was ist das?«
»Sie gehört mir, Vater Abt. Habe ich etwas Unrechtes getan?«
»Wie bist du an die Pflanze gekommen?«
»Ich fand einen Schößling, den jemand von der oberen Ebene hinuntergeworfen hatte, und ich habe ihn vor drei Jahren eingepflanzt. Es ist eine schöne Pflanze. Für gewöhnlich blüht sie erst viel später.«
»Verbringst du viel Zeit bei ihr?«
»Soviel ich kann, Vater Abt. Sie hilft mir, mich zu entspannen.«
»Wir haben viele Rosen auf den oberen Ebenen, Decado. Aber keine von dieser Farbe.«
Es war eine weiße Rose.
Zwei Stunden nach Sonnenuntergang kehrte Ananais zurück, begleitet von Valtaya, Steiger und Belder. Tenaka beobachtete, wie sie näher kamen. Der ältere Mann war ein Veteran, wie Tenaka sehen konnte, der sich vorsichtig bewegte, die Hand immer am Schwert. Die Frau war groß und gut gewachsen; sie hielt sich dicht bei dem schwarz gekleideten Ananais. Tenaka grinste und schüttelte den Kopf. Immer noch der Goldene, dachte er. Aber der junge Mann war interessant. An ihm war etwas seltsam Vertrautes, doch Tenaka war sicher, daß sie sich noch nie begegnet waren. Athletisch und hochgewachsen, mit großen Augen und sympathischen Zügen, das dunkle Haar von einem schwarz-metallenen Stirnreif zurückgehalten, den ein einzelner Opal schmückte. Er trug einen blattgrünen Mantel und schenkellange braune Wanderstiefel. Seine Tunika war aus weichem Leder, und in der Hand hielt er ein Kurzschwert. Tenaka spürte seine Angst.
Er trat zwischen den Bäumen hervor, um sie zu begrüßen.
Steiger blickte auf, als Tenaka näherkam. Er hatte das Verlangen, loszulaufen und ihn zu umarmen, kämpfte es jedoch nieder. Tenaka würde ihn nie und nimmer wiedererkennen. Der Nadirprinz hatte sich nur wenig verändert, stellte Steiger fest, abgesehen von den wenigen grauen Haaren, die in der Sonne schimmerten. Die violetten Augen waren noch immer durchdringend, die Haltung verriet noch immer unbewußte Arroganz.
»Du kannst Überraschungen einfach nicht widerstehen, mein Freund«, sagte Tenaka.
»Wohl wahr«, antwortete Ananais. »Aber ich habe Frühstück mitgebracht, und Erklärungen können warten, bis wir gegessen haben.«
»Stelle mir die Leute vor«, sagte Tenaka sanft.
»Steiger, Valtaya und Belder«, stellte Ananais die Ankömmlinge vor, in Richtung des Trios deutend. Dann ging er an Tenaka vorbei zum Feuer.
»Willkommen!« sagte Tenaka lahm und breitete die Hände aus.
Steiger trat vor. »Wir sind nur vorübergehend in eurem Lager«, sagte er. »Dein Freund hat Valtaya geholfen, und es war lebenswichtig, daß wir die Stadt verließen. Jetzt, wo Valtaya in Sicherheit ist, werden wir zurückkehren.«
»Verstehe. Aber zuerst wollen wir gemeinsam essen«, lud Tenaka ihn ein.
Das Schweigen am Feuer war unbehaglich, doch Ananais beachtete es nicht, sondern nahm seine Mahlzeit mit zum Rande der Lichtung, wo er sich mit dem Rücken zu den anderen niederließ, so daß er die Maske abnehmen und essen konnte.
»Ich habe schon viel von dir gehört, Tenaka«, sagte Valtaya.
Er wandte sich ihr zu. »Viel von dem, was die Leute sagen, entspricht nicht der Wahrheit.«
»Im Herzen solcher Legenden ist immer ein wahrer Kern.«
»Vielleicht. Wo hast du diese Geschichten gehört?«
»Von Steiger«, antwortete sie. Tenaka nickte und wandte sich an den jungen Mann, der heftig errötete.
»Und wo hast du sie her, mein Freund?«
»Von hier und dort«, erwiderte Steiger.
»Ich war Soldat. Nichts weiter. Meine Vorfahren haben mir Ruhm eingebracht. Es gibt viele bessere Schwertkämpfer, bessere Reiter, bessere Menschen. Aber sie haben keinen Namen, den sie wie ein Banner vor sich hertragen können.«
»Du bist zu bescheiden«, sagte Steiger.
»Das ist keine Frage der Bescheidenheit. Ich bin halb Nadir aus Ulrics Linie und halb Drenai. Mein Urgroßvater war Regnak, der Bronzegraf. Und doch bin ich weder Graf noch Khan.«
»Der Khan der Schatten«, sagte Steiger.
»Wie konnte so etwas geschehen?« fragte Valtaya.
Tenaka grinste. »Es war der Zweite Nadirkrieg, und Regnaks Sohn Orrin schloß einen Vertrag mit den Nadir. Unter anderem wurde vereinbart, daß sein
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