Die Drenai-Saga 3 - Waylander
näherte sich vorsichtig, der Mann blickte nicht auf. Er war kahl und bartlos, das Gesicht war von losen Hautfalten umgeben. Aus der Breite seiner Schultern schloß Waylander, daß er einmal sehr kräftig gewesen sein mußte. Jetzt war er nur noch Haut und Knochen, die Augenlider lagen flach in den Höhlen.
Ein Blinder!
»Warum paßt dir dein Gesicht nicht?« fragte Miriel.
»Früher hat es einmal gepaßt«, antwortete der alte Mann. »In meiner Jugend galt ich als gutaussehend, als mein Haar noch golden und meine Augen smaragdgrün waren.«
»Jetzt siehst du schrecklich aus«, meinte Krylla.
»Da bin ich sicher! Gott sei Dank kann ich mich selbst nicht mehr sehen – die Enttäuschung bleibt mir erspart. Ah, der Wanderer kehrt zurück«, sagte der alte Mann und wandte den Kopf.
»Wer bist du?« fragte Waylander.
»Ein Reisender wie du auch.«
»Du reist allein?«
»Ja … aber nicht so allein wie du.«
»Bist du der Mystiker, der mit Krylla sprach?«
»Ich hatte die Ehre – sie ist ein reizendes Kind. Sehr begabt für ihr junges Alter. Sie sagt, daß du ihr Retter bist, ein großer Held.«
»Sie sieht es mit den Augen eines Kindes. Es ist nicht immer alles, wie es scheint«, entgegnete Waylander.
»Kinder sehen viele Dinge, die wir nicht mehr sehen können. Wenn wir es könnten, würden wir dann so schreckliche Kriege führen?«
»Bist du ein Priester, Mann? Ich habe die Nase voll von Priestern«, fuhr Waylander ihn an.
»Nein. Ich studiere lediglich das Leben. Ich wäre gern Priester gewesen, aber ich fürchte, meine Gelüste haben immer die Oberhand gewonnen. Ich konnte nie einem hübschen Gesicht oder einem guten Wein widerstehen. Jetzt, wo ich alt bin, gelüstet es mich nach anderen Dingen, aber selbst diese sind mir nun verwehrt.«
»Wie hast du uns gefunden?«
»Krylla hat mir den Weg gezeigt.«
»Und ich nehme an, du möchtest mit uns reisen?«
Der Mann lächelte. »Ich wünschte, ich könnte! Nein, ich werde heute nacht bei euch bleiben, und dann muß ich zu einer anderen Reise aufbrechen.«
»Wir haben nicht viel zu essen«, sagte Waylander.
»Aber du bist zu dem wenigen, das wir haben, eingeladen«, sagte Dardalion und setzte sich neben den alten Mann.
»Ich habe keinen Hunger. Trotzdem, danke. Du bist der Priester?«
»Ja.«
Der alte Mann streckte die Hand aus und berührte den Griff von Dardalions Dolch. »Ein ungewöhnlicher Gegenstand bei einem Priester.«
»Es sind ungewöhnliche Zeiten«, antwortete Dardalion errötend.
»Das muß wohl so sein.« Er wandte sich Waylander zu. »Ich kann dich nicht sehen, aber ich spüre deine Kraft. Und auch deinen Zorn. Bist du wütend auf mich?«
»Noch nicht«, antwortete Waylander, »aber ich frage mich, wann du auf den Zweck deines Besuches zu sprechen kommst.«
»Du glaubst, ich hätte Hintergedanken?«
»Keineswegs«, erwiderte Waylander trocken. »Ein blinder Mann lädt sich mit Hilfe der mystischen Talente eines verängstigten Kindes zum Abendessen ein und findet unser Feuer mitten in der Wildnis. Was könnte natürlicher sein? Wer bist du, und was willst du?«
»Mußt du immer so abscheulich sein?« fragte Danyal. »Es ist mir gleich, wer er ist, er ist willkommen. Oder möchtest du ihn vielleicht töten? Schließlich hast du schon seit ein paar Stunden niemanden mehr getötet.«
»Bei den Göttern, Frau, dein Geschwätz dreht mir den Magen um«, schnaubte der Krieger. »Was willst du eigentlich von mir? Der Junge ist also gestorben. Das geschieht nun mal im Krieg … Menschen sterben. Und bevor du wieder dein Gift versprühst, denk daran: Als ich euch zurief, euch fallenzulassen, hast
du
es verstanden, dich zu retten. Wenn du da an den Jungen gedacht hättest, hätte er vielleicht keinen Pfeil in den Bauch bekommen.«
»Das ist nicht fair!« rief sie.
»Das Leben ist nun mal so.« Er nahm seine Decken und entfernte sich von der Gruppe. Sein Herz klopfte, und Wut drohte ihn zu übermannen. Er stieg den Abhang hinauf und starrte hinaus auf die Ebene. Irgendwo dort draußen waren Reiter auf der Jagd nach ihm. Sie konnten nicht zulassen, daß er am Leben blieb. Denn wenn sie versagten, war ihr eigenes Leben verwirkt. Und hier saß Waylander in der Falle, durch einen Priester und eine Frau gefangen wie ein Esel im Netz, während die Löwen immer näher kamen.
Torheit. Reine Torheit.
Er hätte nie einen Auftrag von Kaem, dieser vagrischen Schlange, annehmen sollen. Der Name des Mannes war gleichbedeutend mit Verrat: Kaem der
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