Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
gibt viele Schwertmeister.«
»Darum geht es nicht, und das weißt du, Chareos. Du hast den Erben der Grafschaft beleidigt. Und damit, könnte man folgern, hast du auch mich beleidigt.«
»Es muß aber auch bedacht werden, ob meine Entscheidung richtig oder falsch war«, sagte der Mönch.
»Du beziehst dich auf den dicken Jungen? Ja. Aber ich möchte diese Sache regeln. Ich schlage vor, du lädst den Knaben … wie heißt er gleich? Akarin? Du lädst ihn ein, wieder am Unterricht teilzunehmen. Dann kannst du ihm einen anderen Partner geben, und die Übungen können fortgesetzt werden.«
Chareos überdachte das Angebot; dann schüttelte er den Kopf. »Es tut mir wirklich leid, daß du dich genötigt siehst, dich dieser … unbedeutenden Sache anzunehmen. Was angesichts der Nadir, der Sklavenfänger und deiner vielen Pflichten ein unnötiges Ärgernis ist. Ich glaube aber nicht, daß die Wiederaufnahme der Übungen angebracht ist. Dein Sohn ist hochtalentiert, aber überheblich. Wieder mit den Übungen zu beginnen, wäre wie ein Sieg für ihn. Es wäre besser für den Jungen, wenn er einen anderen Lehrmeister bekäme.«
»Du sprichst von Überheblichkeit?« fauchte der Graf. »Stolz ist das richtige Wort! Und Patris hat das Recht, stolz zu sein. Er ist mein Sohn – und wir aus dem Hause Arngir sind es gewohnt, Sieger zu sein. Die Stunden werden fortgesetzt.«
Chareos erhob sich und begegnete dem eisigen Blick des Grafen. »Ich sollte vielleicht darauf hinweisen, Graf, daß ich keine Bezahlung erhalte. Ich habe als freier Mann entschieden, die Stunden zu geben. Als freier Mann entscheide ich nun, die Übungen abzubrechen. Ich stehe bei niemandem unter Vertrag, und deshalb unterstehe ich auch nicht dem Gesetz.«
»Willst du mir damit sagen, daß die Beleidigung meiner Familie bestehen bleibt? Sei auf der Hut, Chareos. Bedenke, was das bedeutet.«
Der Mönch tat einen tiefen, langsamen Atemzug. »Graf«, sagte er schließlich, »ich habe höchste Achtung vor dir. Wenn du der Meinung bist, ich hätte Schande über dich gebracht, nimm bitte meine aufrichtige Entschuldigung entgegen. Aber zu Beginn wurde den Schülern deutlich gemacht, daß sie keinerlei Rang haben, was meinen Unterricht angeht. Keine Privilegien. Patris hat nicht nur einen meiner Schüler entlassen, sondern auch dafür gesorgt, daß die anderen meinen Anweisungen nicht gehorchten. Nach allen Regeln, denen er – und du – zugestimmt haben, mußte ich ihn entlassen. Ich kann diese Entscheidung nicht zurücknehmen.«
»Du kannst es nicht? Sei doch ehrlich, Mann. Du
willst
nicht.«
»Ich will nicht.« Eisiges Schweigen entstand zwischen ihnen, doch der Graf schien nicht willens, das Treffen zu beenden. Er schritt minutenlang vor dem Fenster auf und ab. »Na schön«, sagte er schließlich. »Es soll sein, wie du sagst. Logar wird die Pflichten des Schwertmeisters übernehmen. Ich sehe dich dann, wie besprochen, am Petitionstag im Burgsaal.«
»Du möchtest weiterhin mit mir üben, Graf?«
»Ja. Oder entziehst du dich auch dieser Pflicht?«
»Ganz und gar nicht, Herr. Ich freue mich darauf.« Der Graf lächelte. »Bis dann«, sagte er, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte aus dem Saal. Chareos setzte sich. Seine Hände zitterten, und sein Herz klopfte wild.
Es machte keinen Sinn, daß der Graf an ihm festhielt. Chareos überkam das unbehagliche Gefühl, daß die nächste Übungsstunde keine angenehme Erfahrung werden würde. Sollte er öffentlich gedemütigt werden?
Er ging zum Fenster. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, sich abzusetzen. Er könnte nach Norden in die Hauptstadt reisen, oder nach Vagria im Südosten. Oder sogar nach Süden durch das Land der Nadir nach Drenan zur Großen Bibliothek.
Chareos dachte an die zwölf Goldmünzen, die er noch in seinem Zimmer verborgen hatte. Sein Blick glitt durch den Saal. Hier war er ein beinahe zufriedener Mensch gewesen. Seine Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit, zur letzten Nacht auf dem Torturm, als sie mit Tenaka Khan zusammensaßen, dem Herrn der Nadir mit den violetten Augen. »Warum hast du uns am Leben gelassen?« flüsterte Chareos.
Der zweistündige Gottesdienst näherte sich dem Ende. Chareos genoß das Singen der Hymnen, die rituellen Gebete und das Gefühl der Zugehörigkeit, das die Morgenmesse begleitete. Es spielte für ihn keine Rolle, daß sein Glaube geringer war als der seiner Mitbrüder. Er fühlte sich eins mit dem Grauen Orden, und das war genug für
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