Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
trug keinerlei Schmuck oder Zierrat außer der silbernen Schnalle an dem breiten schwarzen Gürtel.
Als Kiall auf sie zuging, erhob sie sich. »Willkommen an meinem Herd, Kiall. Setz dich und unterhalte dich mit mir.«
»Was möchtest du denn hören?«
»Nur sehr wenig. Nenne mir einfach einen triftigen Grund, dich nicht töten zu lassen.«
»Tötest du auch ohne Grund?« fragte er.
»Manchmal«, sagte sie. »Ist das so erstaunlich?«
»Ich gewöhne mich allmählich an Überraschungen, Prinzessin. Sag mir, wirst du mir helfen, Ravenna zu finden?«
Sie nahm seine Hand und führte ihn zum Diwan. Dann setzte sie sich; ein Arm ruhte auf Kialls Schulter. »Ich bin mir noch nicht sicher. Du weißt, daß ich Männer ausgeschickt habe, euch zu töten?«
»Ja«, flüsterte er. Er spürte ihren warmen Atem an Hals und Wangen.
»Ich hab’s getan, weil ich hörte, daß eine Gruppe von Helden unterwegs sei, um einen Überfall zu rächen. Ich dachte, ihr kämt, mich zu töten.«
»Das war nie unsere Absicht.«
»Und dann finde ich ein großes, gutaussehendes junges Unschuldslamm, das eine Frau sucht, die sich nichts aus ihm macht. Dieser Mann fasziniert mich.« Ihre Lippen berührten seinen Hals, und ihre rechte Hand bewegte sich über seine Brust und glitt dann über die straffen Muskeln seines Bauchs nach unten. Sein Gesicht war heiß, sein Atem ging flach. »Und ich frage mich«, fuhr sie mit leiser, verträumter Stimme fort, »wie es kommt, daß ein Mann, der die Liebe nie erlebt hat, soviel riskiert.« Ihre Hand glitt tiefer.
Seine Finger umklammerten ihr Handgelenk. »Spiel nicht mit mir, Prinzessin«, flüsterte er und wandte sich ihr zu. »Du weißt, daß ich deine Schönheit … unwiderstehlich finde. Aber ich habe wenig … Selbstwertgefühl. Sag mir einfach, wo Ravenna ist – und dann laß mich gehen.«
Eine Zeitlang erwiderte sie seinen Blick; dann wandte sie sich ab. »Wie reizend du mich zurückweist – nicht mit Stärke, sondern mit dem Eingeständnis von Schwäche. Du legst die Entscheidung in meine Hand. Sehr schön, Kiall. Aber du wirst nicht wissen wollen, wo Ravenna ist. Ich meine das ernst. Ich habe dich heute morgen gebeten, mir zu trauen, und ich bitte dich jetzt wieder. Laß diese Suche und gehe zurück nach Hause.«
»Ich kann nicht, Prinzessin.«
»Du wirst sterben. Deine Freunde werden sterben. Und alles für nichts.«
Er hob ihre Hand und küßte sanft die Finger. »Dann soll es so sein. Aber sag mir, wo Ravenna ist.«
Sie setzte sich auf. »Das Mädchen Ravenna wurde von einem Mann namens Kubai gekauft. Man hat sie in eine Stadt nicht weit von hier geschickt und einem anderen Mann als Geschenk gegeben. Dann wurde sie quer durch die Steppe nach Ulrickham gebracht.«
»Ich werde dorthin gehen. Und sie finden.«
»Sie wurde Jungir Khan geschenkt.« Diese Worte trafen Kiall wie Messerstiche, und er schloß die Augen, sein Kopf sank herab. »Du siehst also«, sagte sie zärtlich, »eure Suche hat keinen Zweck. Ulrickham ist eine befestigte Stadt. Niemand kann in den Harem des Khans eindringen und eine seiner Bräute entführen. Und selbst wenn du es könntest – wie willst du seiner Rache entgehen? Er ist der Große Khan. Eine halbe Million Männer stehen unter seinem Befehl. Wo, in aller Welt, könntest du vor ihm oder seinen Schamanen sicher sein?«
Kiall schaute sie an und lächelte. »Ich muß es trotzdem versuchen. Doch irgendwie ist es jetzt schlimmer – nicht wegen Jungir, sondern deinetwegen.«
»Ich verstehe dich nicht.«
Er stand auf und schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht sagen. Vergib mir. Habe ich deine Erlaubnis zu gehen?«
Einen Augenblick schien es, als wollte sie etwas sagen; dann aber nickte sie nur. Kiall verbeugte sich und verließ die Halle.
Seine Gedanken rasten, als er aus der Stadt ritt, und eine tiefe Traurigkeit erfüllte ihn. Er wußte jetzt, daß er Ravenna nicht liebte. Sie war der Traum eines Heranwachsenden, die unerreichbare Schönheit. Aber was konnte er tun? Er hatte sein Versprechen gegeben. Und auch wenn es ihn das Leben kosten sollte, er würde es halten.
Er hörte Hufgeklapper und drehte sich um Sattel um.
Harokas kam an seine Seite getrabt und zügelte sein Pferd. »Darf ich mit dir reiten?« fragte er.
Kiall zügelte gleichfalls sein Pferd. »Ich wünsche deine Gesellschaft nicht, Herr. Aber wenn du Chareos treffen willst, werde ich dich nicht aufhalten.«
»Das muß genügen«, sagte Harokas. Kiall ließ sein Pferd galoppieren,
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