Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
und als sie die Hügelkuppe erreichten, keuchte das Tier heftig. Harokas folgte in etwas gemessenerem Tempo. Chareos, Beltzer und Okas saßen auf der Lichtung, doch von Maggrig und Finn war nichts zu sehen. Kiall stieg ab und wollte Chareos von Ravenna erzählen, doch der Schwertmeister gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. »Ich weiß«, sagte er, den Blick starr auf den Reiter gerichtet, der Kiall folgte.
Harokas glitt aus dem Sattel und verbeugte sich vor Chareos. »Ich suche dich seit langer Zeit«, sagte er. »Ich habe eine Botschaft vom Grafen. Du bist von allen Anklagepunkten freigesprochen worden und jederzeit in Talgithir willkommen. Hauptmann Salida hat dem Grafen von eurem tapferen Beistand in Wirtshausweiler berichtet.«
»Ist das alles?« fragte Chareos kalt.
»Allerdings. Werden die Bogenschützen sich jetzt zeigen?«
»Es fällt mir schwer, mir den Grafen als Mann vorzustellen, der verzeihen kann«, sagte Chareos, »und ich frage mich, warum er einen Krieger auf die Suche nach mir schickt. Könnte es sein, daß du ein Meuchelmörder bist?«
»Alles ist möglich, Chareos«, erwiderte Harokas lächelnd.
»Ich finde, wir sollten ihn töten«, sagte Beltzer. »Er gefällt mir nicht.«
»Und du gefällst
mir
nicht, du fetter Schwachkopf!« fauchte Harokas. »Du solltest im Beisein von Leuten, die dir überlegen sind, den Mund halten.«
Beltzer erhob sich und kicherte. »Laß mich ihm das Rückgrat brechen, Chareos. Ein Wort genügt.«
Finn tauchte aus dem Unterholz auf. »Chareos!« rief er. »Das solltest du dir mal ansehen: Eine Armee von Nadirkriegern zieht auf die Stadt zu – und ich glaube nicht, daß sie ihr nur einen Besuch abstatten wollen.«
Tanaki schaute dem jungen Mann nach, als er die Halle verließ. Dann stand sie auf, hob die Arme über den Kopf und streckte den Rücken. Ihre Gefühle waren gemischt, als sie zurück in ihre Wohngemächer schlenderte. Kialls Unschuld war anziehend und erstaunlich zugleich – so, als würde man eine vollkommene Blume am Rande einer Jauchegrube finden. Tanaki schenkte sich einen Becher Wein ein und nahm einen Schluck. Ein junger Mann auf der Suche nach seiner Liebsten, ein Träumer. Ihre Augen wurden schmal.
»Die Welt hält noch ein paar böse Überraschungen für dich bereit«, wisperte sie. Ein kalter Hauch raschelte in den schweren Vorhängen und fuhr ihr über die nackten Beine. Sie schauderte.
»Ich vermisse dich, Vater«, sagte sie und stellte sich wieder einmal den hochgewachsenen, hageren Krieger vor, sah sein Lächeln, das sein grausames Gesicht weicher erscheinen ließ. Sie war sein Liebling gewesen – obwohl ihre Mutter Renya bei ihrer Geburt gestorben war. Tenaka Khan hatte seine einzige Tochter mit all seiner Liebe überschüttet, während seine Söhne um ein freundliches Wort oder auch nur ein Nicken, das man als Lob auffassen konnte, kämpfen mußten. Tanaki dachte an ihren ältesten Bruder Jungir.
Wie hatte er sich danach gesehnt, von seinem Vater anerkannt zu werden!
Jetzt war Jungir der Khan, Tanakis andere Brüder ermordet, und sie lebte ihr Leben nur in Erwartung des Unvermeidlichen.
Sie lächelte, als sie sich an die letzte Begegnung mit Jungir erinnerte. Er hatte so sehr ihren Tod gewünscht. Doch die Generäle des Khans hätten niemals die völlige Auslöschung des Blutes Tenaka Khans zugelassen, und, wie jedermann wußte, war Jungir unfruchtbar. Keine seiner vierzig Frauen hatte ein Kind empfangen. Tanaki kicherte. Armer Jungir. Er konnte die wildesten Pferde reiten und mit Lanze und Schwert kämpfen. Aber in den Augen der Nadir war er suspekt, weil sein Samen nicht stark war.
Tanaki preßte die Hände auf ihren Leib. Sie zweifelte nicht daran, daß sie empfangen konnte. Und eines Tages – vielleicht, wenn Jungir verzweifelte – würde man sie wieder in Gnade aufnehmen und mit einem seiner Generäle verheiraten. Das Gesicht Tsudais erschien vor ihren Augen, und Tanaki wich zurück. Er nicht! Niemals. Seine Berührungen war wie die eines Reptils, und die grabdunklen Augen ließen sie schaudern. Nein, nicht Tsudai.
Sie verdrängte ihn aus ihren Gedanken und dachte an Jungir, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, als er auf dem Thron saß und auf sie herunterschaute. »Du bist in Sicherheit, du Schlampe – vorerst. Doch eins sollst du wissen … eines Tages werde ich dich gedemütigt sehen. Für diesen Augenblick sollst du leben, Tanaki.«
Statt zum Tode verurteilt war Tanaki hierher verbannt worden, in die
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