Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
einsame Wildnis des Südens. In diesem Land fand man nur wenige Vergnügungen – von den zu Kopf steigenden Freuden des Alkohols und der Vielzahl junger Männer abgesehen, die sie in ihr Bett holte. Doch selbst diese Vergnügen wurden rasch schal. Gelangweilt von ihrem Leben, hatte sie sich dem Sklavenhandel zugewandt und erkannt, wie unrentabel er war – schwankend zwischen übersättigten Märkten mit niedrigen Preisen oder gar keinem Handel. Zudem gab es keine zentrale Stelle, wo Sklaven versteigert und Preise garantiert wurden. Es hatte Tanaki weniger als vier Monate gekostet, um die Marktstadt einzurichten, und binnen eines Jahres organisierte sie auch sämtliche Überfälle auf Gothir-Gebiet. Die Preise für Sklaven hatten sich gefestigt; der neue, verbesserte Markt florierte, und es wurden riesige Gewinne gemacht. Das Gold bedeutete Tanaki wenig; sie hatte ihre Kindheit umgeben von den Reichtümern eroberter Völker verbracht. Doch der Handel hielt ihren regen Geist beschäftigt und ließ sie nicht an Jungirs Rache denken.
Denn wie groß der Druck der Generäle auch sein mochte – Tanaki wußte, es würde eine Zeit kommen, da Jungir sich stark genug fühlen würde, sie töten zu lassen. Es ist seltsam, dachte sie, daß ich ihn nicht dafür hasse. Es war so leicht zu verstehen, was ihn trieb. Jungir hatte sich nach der Zuneigung seines Vaters gesehnt, und da es ihm nicht gelungen war, sie zu gewinnen, hatte er zu hassen angefangen, was sein Vater geliebt hatte.
Tanaki schob einen Samtvorhang zur Seite und blickte durch ein schmales Fenster.
»Er hat dir nichts gelassen, Jungir«, flüsterte sie. »Er hat den größten Teil der Welt erobert. Er hat die Stämme vereint. Er hat ein Weltreich gegründet. Was bleibt da noch für dich?«
Armer Jungir. Armer, unfruchtbarer Jungir!
Ihre Gedanken wanderten zu dem jungen Mann, Kiall. Sie dachte an sein Gesicht, an die sanften grauen Augen, in denen jedoch ein Hauch stählerner Härte lag … und Leidenschaft, roh und ungeschliffen, vulkanisch, schlummernd.
»Es wäre mir ein Vergnügen, dir die Unschuld zu rauben.« Sie lächelte, und ihre Miene wurde weich. »Nein, das wäre es nicht«, erkannte sie traurig.
»Prinzessin! Prinzessini« rief Chellin, der durch die Halle gerannt kam. »Nadirkrieger!«
Sie ging ihm entgegen. »Na und?« erwiderte sie. »Es sind doch immer welche in der Nähe.«
»Nicht die Königlichen Wölfe, Prinzessin«, sagte Chellin. »Und Tsudai führt sie an.«
Tanaki spürte, wie ihr Mund trocken wurde. »Ist das Tor geschlossen?«
»Ja, Prinzessin. Aber es sind dreihundert Krieger, und wir sind nicht einmal fünfzig. Und die meisten werden davon fliehen, sobald sie die Gelegenheit haben.«
Tanaki ging zu einer dunklen Eichentruhe und hob den schweren Deckel. Sie nahm einen breiten Gürtel heraus, an dem zwei kurze Schwerter hingen.
»Wir können nicht gegen die Nadir kämpfen, Prinzessin. Was mögen sie hier wollen?«
Sie zuckte die Achseln und antwortete nicht. Also, dachte sie, ist der Tag gekommen. Nie mehr den blauen Himmel sehen, den Adler, der mit dem Wind über den Bergen segelt. Keine Männer mehr, die mich besitzen und dadurch ihre Seele verlieren. Zorn flammte in ihr auf. Sie ignorierte Chellin und ging aus der Halle zur Stadtmauer, stieg auf die Brüstung und beobachtete, wie die Wölfe des Khans näher kamen. Wie Chellin gesagt hatte, waren es mehr als dreihundert Krieger, deren spitze Silberhelme mit Wolfsfell eingefaßt waren; die silbernen Brustplatten waren mit Gold verziert. Sie ritten scheinbar ohne Formation – und doch konnten sie, auf einen einzigen Befehl hin, wenden und als fliegender Keil angreifen oder sich in drei Abteilungen aufspalten. Ihre Disziplin war unglaublich. Tenaka Khan hatte die Königliche Garde vor einem Vierteljahrhundert gegründet und sie in einem Maße ausgebildet, wie die Nadir es nie zuvor gekannt hatten. Unter den Stammeskriegern war es noch immer eine Ehre, bei den Wölfen aufgenommen zu werden. Von hundert Bewerbern erhielt nur einer den Helm und die Brustplatte mit dem eingravierten Wolfsschädel.
Und in ihrer Mitte ritt Tsudai, ein Kämpfer, der seinesgleichen suchte, ein General, wie es keinen besseren gab.
Männer scharten sich um Tanaki. »Was sollen wir tun?« fragte einer.
»Was wollen sie hier?« fragte ein anderer.
»Sie sind hier, um mich zu töten«, antwortete Tanaki und war erstaunt, daß ihre Stimme ruhig klang.
»Werden sie uns andere auch töten?« fragte ein
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