Die dritte Ebene
Stimme klang weich und angenehm. Helmut Zieglers Augen waren geschlossen. Der Astronaut lag gelöst auf seinem Bett. Brian beobachtete die Szenerie durch die verspiegelte Scheibe im Nebenzimmer. Die Aufzeichnungsgeräte registrierten eine Abnahme der Alphawellenpräsenz im Gehirnwellenmuster. Der Blutdruck sank.
Suzannah hatte den Astronauten in eine tiefe Trance versetzt. Er hatte alle Gefühle für Raum und Zeit verloren. Brian starrte fasziniert auf das Elektroenzephalogramm. Mit jeder Minute verringerte sich die Präsenz von Alphawellen, die Frequenzen sanken in den Thetawellenbereich. Die aufgezeichneten Frequenzen lagen unter sieben Hertz. Noch nie hatte Suzannah ihren Patienten in eine so tiefe Trance, in dieses Stadium des erweiterten Bewusstseins versetzt.
Dann wagte sie den letzten und entscheidenden Schritt. »Das Shuttle dringt in die Atmosphäre ein, das Rütteln wird stärker«, sagte sie.
Brian beobachtete angespannt die Monitore, bereit, jederzeit eingreifen zu können, sollte es zu ähnlichen Reaktionen wie bei Sanders kommen. Doch der Ausschlag der gezackten Linien auf dem Monitor blieb niedrig. Nichts deutete auf eine Panikreaktion Zieglers hin.
Suzannah hob den Kopf und blickte zum Spiegel. Brian reckte unwillkürlich den Daumen nach oben. Er dachte nicht daran, dass sie ihn nicht sehen konnte.
»Das Shuttle taucht in den Wolkenschirm ein. Alles verläuft nach Plan. Es gibt keine Komplikationen. Sie schlafen tief und fest. Nur das leichte Vibrieren ist zu spüren.«
Das Zackenmuster auf der unteren Linie des Monitors verstärkte sich für einen kurzen Moment. Brian erhob sich. Ziegler lag noch immer unbeweglich auf dem Bett, den Körper nach wie vor entspannt, dennoch blieb Brian stehen, um schnell eingreifen zu können, sollte es notwendig werden. Seine Hand umfasste die Türklinke.
»Das Shuttle taucht in die Wolken ein. Flauschige weiße Wolken. Wie eine Schneelandschaft in den Bergen liegt das Weiß vor dem Schiff. Das Vibrieren wird heftiger, ein Rauschen erfüllt die Luft.«
Das Zackenmuster auf dem Monitor schwächte sich wieder ab. Nur leicht schwangen die Spitzen über die gelbe Nulllinie.
Brian atmete tief durch. Er löste seinen Griff um die Klinke.
»Sonnenstrahlen dringen ins Innere«, fuhr Suzannah fort. »Die Wolken lösen sich langsam auf. Nur noch einzelne Schwaden versperren die Sicht. Unter dem Shuttle breitet sich der blaue Ozean aus. Blau und schön und ruhig liegt er dort. Am Horizont schiebt sich die Küste immer näher. Das Shuttle liegt stabil, und das Vibrieren erlahmt.«
Brian blickte auf die kleine Digitaluhr neben dem Bildschirm. Er hatte den Startknopf gedrückt, als Suzannah den Raum betreten und mit der Vorbereitung zur Hypnose begonnen hatte. Ziegler hatte auf ihren Besuch gewartet. Er hatte sie mit einem Lächeln auf den Lippen begrüßt. Brian dachte an den Augenblick, als er Ziegler das erste Mal gesehen hatte. Wie ein ängstliches, waidwundes Tier hatte der Mann in der Ecke gesessen und mit weit aufgerissenen und glasigen Augen ins Leere gestarrt. Nur zwei Wochen brauchte Suzannah, um aus diesem am Boden kauernden, verängstigten Wesen wieder einen Menschen mit einem breiten Spektrum an Gefühlen zu machen. Natürlich war Brian klar, dass es noch vieler weiterer Sitzungen bedurfte, um die Nachwirkungen der Traumatisierung vollständig auszuschalten, doch das, was Suzannah in diesen wenigen Tagen erreicht hatte, war mehr, als Brian zu Beginn der Behandlung zu träumen wagte. Und wenn er auch nur einen kleinen Teil zum Gelingen der Therapie beitrug, so war er durchaus stolz auf das bislang Geleistete. Und was im Gegensatz hatte Brandon mit seiner schulmedizinischen Heilbehandlung, die im Grunde genommen auf der Verabreichung von Medikamenten beruhte, bei Sanders erreicht?
Sein Partner lag mit einer schweren Augenverletzung in einer Spezialklinik. Bislang war Brandon noch nicht wieder aufgetaucht. Er igelte sich in seinem Apartment ein. Auch zu der kurzen Besprechung am Abend zuvor war er nicht erschienen. Er stehe noch immer unter Schock, hatte Professor Paul erklärt.
Brian überlegte sich, ob er nicht ein wenig Genugtuung über das Versagen seines ehemaligen Mentors an der Bradley University und mittlerweile schärfsten Widersachers empfand, doch er suchte vergeblich nach diesem Gefühl. Er empfand keine Befriedigung, keine Schadenfreude und keine Häme. Im Gegenteil, schließlich war das Schicksal zweier Menschen mit dem Scheitern Brandons
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